Christliches Manifest
Christliches Manifest

 

c)  Renovatio imperii Romanorum (Die Erneuerung des Römischen Reiches)

Mit Karl dem Großen begann ein neuer Abschnitt westeuropäischer mittelalterlicher Geschichte. Geschichts-und Staatsverständnis fanden hier ihre bestimmende Ausprägung und Grundlegung für den Verlauf des gesamten Mittelalters und darüber hinaus. Die Errichtung dieses Reiches war zugleich ein Rückgriff in die Vergangenheit und machte da Fortsetzung, wo das Römische Reich aufgehört hatte zu bestehen. Der Staatsentwurf, den die letzten römischen Kaiser im 4. Jahrhundert geschaffen hatten war neu und hob sich ab von der zuvor anders gearteten römischen Geschichte. In einem Zeitraum von hundert Jahren hatte das Römische Reich eine Wandlung erfahren, bis im 5. Jahrhundert der völlige Verfall einsetzte und alles zerbrach. Bevor aber Karl sein Werk neu beginnen und vollenden konnte, hatte sein Großvater Karl Martell, die Voraussetzungen dafür geschaffen, nachdem er dem Vordringen arabisch-moslemischer Heere in der Schlacht bei Tours und Poitier 732 ein Ende gesetzt hatte. Er hatte die Herrschaftsverhältnisse im Frankenreich gefestigt. Im Norden hatte er Friesen und Sachsen zwar nicht seiner Herrschaft unterworfen, aber doch Gefahren, die drohen konnten, abgewehrt und den Grenzbereich zu diesen beiden Germanenstämmen gesichert; eine wichtige Voraussetzung für seinen Enkel zum weiteren Vordringen nach Norden.

Vier Ereignisse bilden die Grundlage für die territoriale Ausdehnung und die Einheit des von Karl dem Großen geschaffenen weströmischen, westeuropäischen Großreiches und seine spätere Bedeutung für die westeuropäische Geschichte.

  • Der Krieg gegen die Sachsen und die Beziehungen zu seinem größten Widersacher, dem Sachsenherzog Widukind, der zugleich Anführer der immer wieder aufflammenden Kämpfe war, die sich über einen Zeitraum von dreißig Jahren hinzogen, und die Unterwerfung der Sachsen, nicht allein dem fränkischem Staatsverband, sondern auch die Bekehrung zum Christentum zum Inhalt hatten. Es war eine Bekehrung durch Feuer und Schwert, eine Methode, die nicht nur bei Karls Gegnern Ablehnung und Kritik   hervorriefen, sondern schon zu seinen Lebzeiten als fragwürdig angesehen wurden.
  • Die Abwehr einer Gefahr für die Einheit der Kirche, hervorgerufen durch das Vordringen einer Lehre, die in Spanien ihren Ursprung hatte. Der alte Streit, der schon die christliche Kirche mit dem Beginn als Staatsreligion im Römischen Reich beschäftigt hatte. Diese Lehre besagte, Jesus Christus sei von Gott adoptiert worden, womit ihm die Gleichstellung mit Gott abgesprochen wurde.
  • [180] Störing, Hans Joachim: Kleine Geschichte der Philosophie. S. 160 f
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  • Die Kaiserkrönung am Weihnachtsfest des Jahres 800 war die Geburtsstunde des „Heiligen Römischen Reiches“. Kaum ein Ereignis hat so viele und unterschiedliche Deutungen erfahren, deren Klärung nie als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Es entspann sich daraus eine Auseinandersetzung, die tonangebend wurde für die mittelalterliche Geschichte. Es betraf die Klärung der Machtverhältnisse zwischen den beiden beherrschenden Institutionen Kaiser und Papst. Die Machtkämpfe, die sich daraus entwickelten, haben die beiden Institutionen geschwächt und schließlich in die Bedeutungslosigkeit geführt.
  • Das Verhältnis zu dem in Byzanz (Konstantinopel) regierenden oströmischen Kaiser. Mit Karls Kaiserkrönung wurde zugleich eine Wunde aufgerissen, denn der Kaiser in Byzanz sah sich immer noch als Herrscher des gesamtrömischen Reiches. Es betraf nicht nur das Staatsverständnis und seine damit verbundene staatliche Einheit, es betraf auch die Einheit der Kirche, denn die in Byzanz residierende Geistlichkeit war nicht bereit, sich dem weströmischen Papst zu unterwerfen. Der Gegensatz, der nie überwunden werden konnte, führte zur staatlichen und kirchlichen Spaltung zwischen Ost und West mit fatalen Folgen.

Karl trat 768 seine Herrschaft an. Vier Jahre später 772 begannen die Sachsenkriege, die auf beiden Seiten mit besonderer Grausamkeit geführt wurden, und die erst genau dreißig Jahre später 802 ihr endgültiges Ende fanden. Einen Meilenstein zu dieser Entwicklung wurde im Jahr 785 gesetzt: Der Sachsenherzog Widukind, eine Herrscherpersönlichkeit, die für Karl nicht nur auf militärischen Gebiet eine besondere Herausforderung bedeutete. In dem genannten Jahr unterwarf sich Widukind und ließ sich christlich taufen, und der Taufpate selbst war kein geringerer als der Frankenkönig Karl. Noch bedeutender erscheint dieser Akt, wenn dazu die Wirkungsgeschichte verfolgt wird, denn von 919 bis 1024 gelangten Könige und Kaiser aus sächsischem Hause auf den Thron, und nie stand das Heilige Römische Reich so gefestigt da wie in diesem Zeitabschnitt. Der größte unter ihnen, Otto I. (der Große), (936-973) war ein Enkel Widukinds (730-807).[181]

Die gewaltsame Bekehrung der Sachsen ist schon zu Lebzeiten Karls auf Kritik gestoßen auch am Hofe Karls selbst. Diese Form der Bekehrung war zu der Zeit und in Zeiten davor   nicht das übliche Verfahren. Die Bekehrung der noch heidnischen Germanenstämme war überwiegend das Werk angelsächsischer Missionare, ihr Leitbild war der Gottesmann, verkörpert vor allem durch Bonifatius (672-754), der auf dem Kontinent an vorhandene gleichartige Bestrebungen anknüpfte, die maßgebend  die karolingischen Kirchenreform beeinflussten, die dann auch für die mittelalterliche Kirche Vorbildfunktion erlangte.[182] Die Kirchenreform mit Karl Martell durch angelsächsische Missionare begonnen, wurde von seinen Nachfolgern fortgesetzt.[183] Die Karolinger bevorzugten angelsächsische Missionare; sie begannen die Friesen im Norden zu missionieren, wo Bonifatius 754 den Märtyrertod fand, nachdem er zuvor das Hauptgewicht seiner Missionstätigkeit auf Hessen und Thüringen verlagert hatte. Bei den Friesen gab es Adelige, die für das Christentum optierten, auf diese Weise erhielt Bonifatius Predigterlaubnis.[184] Bonifatius entstammte einer adelig grundherrlichen Familie aus Wessex (Westsachsen) im Südwesten Englands. Im Alter von

[181] Kleinpaul, Rudolf: Das Mittelalter. Bilder aus dem Leben und Treiben der Stände in Europa. Unveränderter Nachdruck von 1885. Würzburg 1998 S. 94

[182] Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. S. 230

[183] ebd. S. 254

[184] ebd. S. 265

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sieben Jahren wurde er in ein Kloster gegeben und wuchs dort im mönchischen Geist auf. 718 kehrte er von einer Missionsreise bei den Friesen nach England zurück; von dort ging er nach Rom und erhielt den Auftrag von Papst Gregor II. (715-731) zur Missionierung Germaniens, was auch für die fränkische Kirche zu einer weiteren Bindung an Rom führte. Im Frankenreich nahm ihn Karl Martell unter seinen besonderen Schutz. 732 wurde er von Papst Gregor III. (731-741) zum Erzbischof erhoben. In dieser Funktion stieß er bei Karl Martell auf Widerstand. Ein Kompetenzstreit zeichnete sich ab über die Abgrenzung geistlicher und weltlicher Macht, der im ausgehenden Mittelalter dramatischen Formen annehmen sollte. Sachsen blieb für Bonifatius verschlossen, dagegen eröffnete sich in Bayern ein Betätigungsfeld, wo vier Bischofssitze errichtet wurden; die Errichtung eines Erzbistums unterblieb, und Bayern gelangte unter die eigene Hoheit des Bonifatius.[185] Unter den Nachfolgern Karl Martells, der 741 verstorben war, schritt Bonifatius zu einer einschneidenden Kirchenreform. Zentral betraf die Reform die Lebensführung des Klerus. Zur Beseitigung heidnischer Bräuche wurde nötigenfalls die weltliche Macht um Beistand angerufen. Es erfolgte die Forderung auf Restitution des der Kirche durch Karl Martell entfremdeten Besitzes. Ein Eherecht wurde erlassen; es Verbot die Neuverheiratung zu Lebzeiten des rechtmäßigen Ehepartners. Ferner wurde das Zölibat eingeschärft und im Konkubinat lebende Klerikern die Amtsenthebung angedroht. Zur Ehelosigkeit hat der Apostel Paulus einiges geäußert im 1. Brief an die Korinther Kapitel 7, in der Versen 4-7. (4) Das Weib hat kein Verfügungsrecht über ihren Leib, sondern der Mann; desgleichen hat der Mann kein Verfügungsrecht über seinen Leib, sondern das Weib. (5) Verweigert euch einander nicht, außer auf Grund gegenseitiger Übereinkunft eine Zeitlang, um für das Gebet Zeit zu haben und dann wieder zusammenzuleben, damit euch der Satan nicht versuche wegen eures Mangels an Selbstbeherrschung. (6) Ich sage dies nur als Zugeständnis, nicht als Gebot. (7) Ich wollte aber alle Menschen wären so wie ich; indes hat jeder von Gott seine eigene Gabe, der eine so, der andere anders.[186] Mit dieser Feststellung wird die Ehelosigkeit zu einer Gewissensfrage, denn über die eigene Berufung kann jeder Mensch nur individuell entscheiden. Der Apostel Paulus war ehelos, was aber nicht für alle Apostel und Verkündiger des Evangeliums galt, denn im 1. Korintherbrief, Kapitel 9, Vers 5 schreibt und fragt er: (5) Haben wir nicht das Recht, eine Schwester als Frau mitzunehmen wie die anderen Apostel, die Brüder des Herrn und selbst Kephas? (Petrus)[187] Mönche und Nonnen wurden angehalten, die Regeln des Benedikt strengstens zu befolgen. Die nach Benedikt genannten Klostergründungen waren die ersten in der Kirche des Westens.[188] Die Klöster hatten die Aufgabe, Bildung zu pflegen und zu vermitteln und Land urbar zu machen für die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen, ein hartes Geschäft, ora et labora (bete und arbeite) hieß es darum. Ein geflügeltes Wort, das sich über die Zeiten erhalten hat.

Die Sachsen, ursprünglich an der unteren Elbe ansässig, breiteten sich immer weiter nach Süden aus und überlagerten schließlich die ganze nordwestdeutsche Tiefebene. Angelsächsische Missionare eröffneten den Sachsen die Möglichkeit den christlichen Glauben in freier Entscheidung anzunehmen. Der sächsische Selbstbehauptungswille stellte sich aggressiv gegen alles Christliche, und sah in dem Versuch der Missionierung mehr als nur einen Glaubenswechsel. Die Sachsen sahen darin vielmehr eine Bedrohung ihrer stammeseigenen Unabhängigkeit, zudem war der Einfluss einer Adelsherrschaft, die eher geneigt war, sich dem

[185] Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. S. 270 ff

[186] Übersetzung nach Storr (kath)

[187] ebd.

[188] Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. S. 272 f

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Christentum zu öffnen, nicht so ausgeprägt wie bei den Friesen. Als Karl zur fränkischen Gesamtherrschaft aufgestiegen war, zog er 772 erstmals mit militärischer Gewalt gegen die Sachsen, womit ein Bekehrungsversuch mit dem Schwert einherging. Auf diesem ersten Feldzug wurde auch das Zentralheiligtum der Sachsen, die Irminsul, demonstrativ zerstört, um die Überlegenheit des Christengottes eindrucksvoll zu untermauern. 773 befand sich Karl auf einem Italienzug, was die Sachsen ausgiebig zu einem Rachefeldzug nutzten. Nach der Rückkehr Karls aus Italien, erfolgte die Vergeltung. Karls Biograph Einhard berichtet, das Vorgehen der Franken löste Entsetzen aus. Die Antwort gründete in der Entschlossenheit, die Sachsen solange mit Krieg zu überziehen, bis sie besiegt, das Christentum angenommen hätten oder, im Falle eines unnachgiebigen Widerstandes, gänzlich ausgerottet seien. Angesichts dieser Drohung gelobten große Teile Bekehrung und Unterwerfung. Es wurde eine Reichsversammlung nach Paderborn einberufen, gleichzeitig fand eine Synode statt mit dem Ziel, die Missionierung des Sachsenlandes zu organisieren, große Teile der sächsischen Bevölkerung ließen sich taufen, was bei den Franken die Zuversicht aufkommen ließ, das Sachsenland sei befriedet. 778 zog Karl mit einem Heer über die Pyrenäen nach Spanien, was die Sachsen prompt zu einem Aufstand nutzten, diesmal unter der Führung Widukinds, der über ein militärisches Konzept verfügte, und die Sachsen erstmals von einer einheitlichen Führung geleitet wurden; sie drangen weit nach Süden vor, bedrohten Fulda, den von Bonifatius errichteten Bischofssitz, so dass die Mönche fliehen und den Leichnam des Bonifatius in Sicherheit bringen mussten. Die Sachsen gelangten an den Rhein bis nach Koblenz. Die Kämpfe zogen sich über Jahre hin und forderten auf beiden Seiten große Opfer.[189] In dem vielbeachteten Akt der Hinrichtung von Sachsen in Verden, in der NS-Zeit als „Blutbad von Verden“ bezeichnet, sollen nach unterschiedlichen Angaben 4500 Sachsen hingerichtet worden sein, die zuvor von frankentreuen Sachsen ausgeliefert worden waren. Mit Deportation und Umsiedlung wurden Gebiete der Sachsen durch Franken ersetzt. Als unzutreffend haben sich Darstellungen erwiesen, gefangene Sachsen seien in die Sklaverei verkauft worden. Ein vorläufiges Ende erreichten die Kämpfe durch die Taufe Widukinds Weihnachten 785. Karl hatte seinem größten, in vieler Hinsicht ebenbürtigen, Widersacher Straffreiheit und Sicherheit zugesagt, was er durch Stellung von Geiseln bekräftigte. Durch die Übernahme der Patenschaft war er verpflichtet Widukind als geehrte Person zu betrachten und zu behandeln; damit war die Eingliederung der Sachsen vollzogen, auch wenn bis zum Beginn des 9. Jahrhunderts zeitweise Kämpfe aufflammten. Das Geschlecht Widukinds hat schon bald zu Hof-und Kirchendienst gefunden. 802/03 erließ Karl ein sächsisches Stammesrecht, das eine zuvor strengere Gesetzgebung aufhob, und den Sachsen eine gleichberechtigte von aller Diskriminierung befreite Stellung einräumte.[190] 

Die Sachsenkriege sind besonders von den NS-Ideologen herangezogen worden, um einen heidnischen Germanenmythos zu untermauern und auszubreiten. Auf welchen Auswüchsen und Irrwegen ein Geschichtsbewusstsein gegründet werden sollte, zeigt eine Schrift des SS-Hauptamtes mit dem Titel:

Wieder reiten die Goten…

…Was den Goten, den Warägern und allen einzelnen Wanderern aus germanischem Blut nicht gelang – das schaffen jetzt wir, ein neuer Germanenzug, das schafft unser Führer, der Führer aller Germanen. Jetzt wird der Ansturm aus der Steppe zurückgeschlagen, jetzt wird die

[189] Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. S. 296 f

[190] ebd. S. 298

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Ostgrenze Europas endgültig gesichert. Jetzt wird erfüllt, wovon germanische Kämpfer in den Wäldern und Weiten des Ostens einst träumten. Ein dreitausendjähriges Geschichtskapitel bekommt heute seinen glorreichen Schluss. Wieder reiten die Goten, seit dem 22. Juni 1941 – jeder von uns ein germanischer Kämpfer[191] Ein Rassenkrieg war ausgerufen worden, wobei der Begriff Rasse in jedem Fall eine falsche Bedeutung erlangt, es ist ein Begriff aus der Zoologie, und da gehört er auch ausschließlich hin. Dem auf nationalstaatlichem Denken begründeten Prozess, der die Völker Europas in Gegensatz zueinander gebracht hat, ist vom sogenannten Nationalsozialismus ein rassisch begründetes Element hinzugefügt worden, und hat Zerstörung und Selbstzerstörung zur Vollkommenheit geraten lassen. Die Machart nationalsozialistischer Ideologie und Einflussnahme hat ihre Wirkung erzielt, nicht zum Zeitpunkt als sie geschah und auch nicht, weil die Soldaten der Deutschen Wehrmacht sich als germanische Krieger empfanden; sie waren geblendet von den Anfangserfolgen in den ersten Jahren des Krieges. Dem Bestreben, dem Germanenmythos in der Zeit der NS-Herrschaft eine Breitenwirkung zu verschaffen, war nur ein mäßiger Erfolg beschieden; er wurde von Anbeginn nicht sonderlich ernst genommen, was ein Flüsterwitz unterstreicht: Blond wie Adolf Hitler, groß und stark wie Joseph Goebbels, gertenschlank wie Hermann Göring und keusch wie Ernst Röhm. Zarah Leander konnte mit ihrem Gesang noch den Text interpretieren: „Er heißt Waldemar, und hat schwarzes Haar, er ist weder stolz noch kühn, aber ich liebe ihn.“ In Nordafrika schwiegen auf beiden Seiten die Waffen, wenn Lili Marleen erklang, von Lale Andersen gesungen. Es gibt eindrucksvolle Berichte darüber, die belegen, wie die Menschen der Zeit mehrheitlich wirklich empfanden. Die vom Nationalsozialismus inszenierte Weltanschauung wurde begleitet von einer Diktatur, die Widerspruch mit den bekannten Mitteln ahndete. Eine einzelne Stimme hat sich in dem Meer der Begeisterung für Hitler dennoch erhoben in einer Broschüre, einem Büchlein von 75 Seiten, 1935 veröffentlicht, unter dem Titel. „Karl und Widukind. Geschichtliche Wirklichkeit gegen widerchristliche Legendenbildung“.[192] Es gehörte einiger Mut dazu, dem ethnisch begründeten nationalsozialistischen Machtanspruch so entgegenzutreten. Ein Abschnitt daraus kann das belegen: Es ist die große Erfahrung, dass der Gottesglaube, der angeblich den Menschen zum hündischen Sklaven macht zu allen Zeiten Männer mutig und furchtlos gemacht hat auch da, wo andere schwiegen. Wer die Bibel und die Geschichte der Christenheit kennt, weiß von den Gottesmännern, die vor die Mächtigen der Erde traten und sie straften, wenn ihr Tun gegen Gottes Gebot verstieß. Er kennt die Geschichte von Elia, der den Tyrannen Ahab strafte. (1. Buch der Könige, Kapitel 18) Er kennt Nathan, den Propheten und sein Wort an den sündigen König David: „Du bist der Mann!“ (2. Samuel; Kapitel 12) Er kennt Johannes den Täufer, der, als alle schwiegen, vor Herodes hintrat und ihn die Anklage ins Gesicht schleuderte: „Es ist nicht recht, König….“ (Evangelium nach Matthäus; Kapitel 14)[193] Obwohl Hitler und sein ideologischer Anhang in der Broschüre nicht ausdrücklich erwähnt und angesprochen werden, sind die Äußerungen beachtenswert, besonders die Zitate aus dem hebräischen Kanon der Heiligen Schrift, denn solche Äußerungen konnten nicht ohne Risiko geschehen. Weiter heißt es: Er kennt vielleicht auch den Namen Alkuin, den Führer der Kirche im Reiche Karls des Großen. Was war das für ein Mann, der in dieser für die christliche Kirche in Deutschland so entscheidenden Jahren die in kirchlichen Dingen einflussreichste Persönlichkeit am fränkischen Hof war? (…) Er war wie so viele Kirchenleute seiner Zeit, ein Angelsachse, wohl aus

[191] Hofer, Walther: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Frankfurt a. M. S. 250

[192] Schaller, Theo: Karl und Widukind. Geschichtliche Wirlichkeit gegen widerchristliche Legendenbildung. Berlin 1935 S. 53

[193] ebd. S. 54

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vornehmen northumbrischen Geschlecht, kam nach manchen Wanderjahren, die ihn auch nach Rom führten – das er übrigens nicht sehr schätzte! – in Norditalien in Berührung mit König Karl und wurde bald von ihm an den Hof gezogen.[194] (…) War Sachsenland nun ein Land von Gräbern und Trümmern? War in dem Kampf der Schwerter gegen das Kreuz ein wilder, unbrechbarer Hass gewachsen, der die Herzen der Sachsen unzugänglich machte für die Botschaft? Antwort kann nicht eine Theorie, sondern nur die Geschichte geben. Und die gibt die Antwort: Nein! Über dem nordischen Land stand die Christusgestalt![195]

Ab einem bestimmten Zeitpunkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die NS-Ideologie verstärkt dazu genutzt, um die deutsche Geschichte insgesamt zu überlagern und zu diskreditieren. Alles drehte und dreht sich um Hitler. Er ist nach wie vor die Orientierungsmarke, zu seinen Lebzeiten als Vorbild, heute als Gegenbild, was dazu führt, dass ständig nach Wegen gesucht wird, diesem Gegenbild gerecht zu werden, um nicht in Verdacht zu geraten. Auf diesem Wege könnte die gesamte deutsche Geschichte ausgelöscht oder auf Hitler reduziert werden, was in beiden Fällen auf dasselbe hinausliefe, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, wie Hitler Wesen und Ereignisse der deutschen Geschichte auf das Schändlichste missbraucht hat.

Die geistige Verwirrung, Verirrung ist ein zu schwacher Ausdruck, zeigte sich bereits in dem Gesetz vom 1. Dezember 1936 über die Erziehung der Hitlerjugend. Hitler hatte dazu seine Vorstellungen entwickelt: …Meine Pädagogik ist hart. Das schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muss das alles sein. Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muss erst aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend.[196] Dieser Geist erhebt bereits wieder seine Schwingen vor einer versagenden Demokratie, einer Demokratie, die diesen Namen nicht verdient, genau wie ehedem.

Die Einheit des Reiches zu schaffen war für Karl ein mühevoller Weg, aber er gelang, wenn auch nicht ohne Opfer und kriegerische Verwicklungen, die nur kurze Zeiten des Friedens ermöglichten, bis es sich zu einem Großreich gestaltete. Wichtige Voraussetzungen bildeten die Neuordnung der Verhältnisse in Italien, die Beziehungen zu Rom und Papst Hadrian I. Nach Herrschaftsantritt 768 teilte Karl das Reich mit seinem Bruder Karlmann, der jedoch überraschend 771 starb, wodurch Karl sich zum Alleinherrscher aufschwingen konnte. Karlmanns Frau floh mit ihren beiden Söhnen zu Desiderius dem König der Langobarden nach Pavia, von wo aus die Thronansprüche für die Söhne Karlmanns erhoben wurden, zugleich bedrohte Desiderius Papst Hadrian I. mit der Einnahme Roms; Grund genug für Karl nach Italien zu ziehen, nach der Belagerung und Einnahme Pavias krönte sich Karl mit der „Eisernen Krone“ der Langobarden und war damit König der Langobarden, was gleich bedeutend war mit der Einverleibung ins Frankenreich. Anschließend zog Karl nach Rom, das er vor der Einnahme durch die Langobarden bewahrt hatte. In einem Zusammentreffen mit Papst Hadrian I. wurden Schenkungsversprechen, die Karls Vater Pipin III. dem Heiligen Stuhl gemacht hatte, erneuert, Grundlage für den späteren Kirchenstaat. Italien gelangte so, bis auf kleine Teile

[194] Schaller, Theo: Karl und Widukind. S. 54 f

[195] ebd. 57

[196] zitiert in Hofer: Der Nationalsozialismus. S.88 Diese Dokumentensammlung hat in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Massenauflage erlebt, was der These von der Verdrängung entgegensteht.

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Süditaliens, unter Karls Herrschaftsbereich. Vollendet wurde dieses westeuropäische Großreich durch die Einnahme Sachsens, der Oberhoheit über Bayern und das Reich der Awaren, das Teile des heutigen Österreichs und Ungarns einschloss. Begleitet wurde alles durch intensive christliche Missionstätigkeit. Der angrenzende Osten dieses Reiches zählte in Teilen zum fränkischen Einflussbereich, ebenso ein Streifen Landes im Süden der Pyrenäen, der neben dem Königreich Asturien im Nordwesten Spaniens, das seine Unabhängigkeit von der Frankenherrschaft und dem moslemisch beherrschten Teil der iberischen Halbinsel bewahren konnte. Diese Gebiete bildeten später die Grundlage der Reconquista (Wiedereroberung) Spaniens für den christlichen Machtbereich. Damit blieb das Reich  zu Lebzeiten Karls in seinen Bestand gefestigt.

Die nächste große Aufgabe sah Karl in Bereich der Bildung; seine Herrschaft verband damit eine Zielsetzung, die mit dem Namen „Karolingische Renaissance“ wiedergegeben worden ist. Sie war vielfach gefächert, und erstreckte sich auf die Bereiche Bildung, Schrift, Kunst, Liturgie, Theologie und Architektur. Eine kulturelle Linie, die dem Herrschaftskonzept in seiner Gesamtheit dienen, und dem gerade geschaffenen Reich mit seinen unterschiedlichen Ethnien einer einheitlichen Linie unterwerfen sollte, die auch für den Bildungsbereich als unabdingbar angesehen wurde.[197] Es dürfen keine Verwechselungen Platz greifen, wenn von einer Renaissance die Rede ist, denn  diese Renovatio (Erneuerung) darf nicht gleich gesetzt werden mit der Renaissance, die sechs Jahrhunderte später einsetzte und die christliche Welt überlagerte durch die verstärkte Hinwendung besonders zu antiker Philosophie Kunst und Literatur. Die antike Geisteswelt hatte auch am Hofe Karls ihre Bedeutung, sie wurde nicht gänzlich verworfen wie in Zeiten davor. Die Karolingische Renaissance hat sich für das Bildungswesen bis zu jener späteren Renaissance als wegweisend erwiesen bis hin zu einem einheitlichen Schriftbild, der Karolingischen Minuskel, denn das Reich umfasste Länder und Gebiete, die ohne Schriftkultur auskamen, oder in Sprache wie im Schriftwesen eigene Entwicklungen genommen hatten.[198] Karls gewichtigster Berater, Alkuin, der größte Gelehrte seiner Zeit, entwickelte die Gesamtkonzeption.[199] Karls Reformidee verlegte sich auf Berichtigung, von Schrift, Sprache und Gottesdienst. Beabsichtigt war der Rückgriff auf die reinen Quellen der alten Christenheit, wenn von Wiedergeburt gesprochen werden sollte, so war vornehmlich an die christliche Spätantike gedacht. Dies alles entfaltete sich unter Karls Herrschaft neu, und schuf für das Abendland eine gemeinsame christliche Bildungsgrundlage. Es eröffnete sich ein Kapitel der Geistesgeschichte und Baukunst. Karls Neuanfang war nicht im Original etwas völlig Neues, es war eher eine Fortsetzung von dem, was schon in der antiken Welt seinen Anfang genommen hatte durch die geistige Welt der Kirchenväter, als das Römische Reich, wenn auch als christliches Reich gedacht, noch eine staatliche und geistige Einheit am Ende seines Bestehens bildete. Karl entwickelte daraus ein tragendes Fundament für die ganze weitere christlich abendländische Geschichte.[200] Zur Durchführung seiner Bildungsziele begann Karl Männer von besonderer Gelehrsamkeit um sich zu versammeln. Dieser Kreis fand die Bezeichnung Hofschule. Die Mitglieder waren von Karl in seine Umgebung berufene Gelehrte und Dichter, die sich zeitweise am Hof aufhielten, als Lehrer wirkten, und die Geistige Elite dieser Hofgesellschaft bildeten, von wo aus sie mit Geistesverwandten in Verbindung traten, Leiter von Abteien wurden oder andere entsprechende Aufgaben wahrnahmen,[201] und somit eine Breitenwirkung erzielten. Das geistige Leben im

[197] Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. S. 304

[198] ebd. S. 311

[199] ebd. S. 304

[200] ebd. S. 305

[201] ebd. S. 305 f

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Frankenreich bedurfte der Neuauflage. Führende Männer der Bildungserneuerung kamen aus allen Winkeln des Reiches, die ersten davon aus Italien, das trotz seiner Schädigungen durch Goten-und Langobardenkriege eine kulturelle Überlegenheit bewahrt hatte.[202] Ethnische oder nationale Vorlieben waren bei Hofe Karls unbekannt. Einige der Namen sprechen für sich, so aus dem italienischen Raum stammende, wie Petrus von Pisa, Paulinus von Aquileja oder Paulus Diaconus aus Friaul. Alkuin, der seine Wurzeln in England hatte, ist schon mehrfach erwähnt worden. Theodulf von Orléans war vor den eindringenden Arabern aus Spanien entflohen. Adelhart war ein Sohn von Pipins Halbbruder, also weitläufig mit Karl verwandt. Angilbert konnte seine Herkunft auf fränkischen Hochadel zurückführen. Er hatte seine Ausbildung bei Alkuin und Paulinus erhalten. Als Vertreter der jüngeren Generation fungierte Einhart als Geschichtsschreiber und Baumeister. Seine „Vita Caroli Magni“ sicherte ihm für alle Zeiten einen Bekanntheitsgrad.[203]

Die Eroberungszüge hatten über Jahrzehnte hinweg alle Kräfte in Anspruch genommen, jetzt galt es das Erreichte durch Festigung staatlicher Einheit zu sichern, wozu auch die Bildungsreform ausersehen war. Eine Missionstätigkeit durch Klostergründungen, Errichtung von Bistümern und Erzbistümern sollte die Glaubenseinheit festigen, denn das Reich sollte auf zwei Säulen ruhen: Die Glaubenseinheit vertreten durch den Papst und die katholische Kirche, und die staatliche Einheit vertreten durch den König, später durch den Kaiser. Für die eine tragende Säule, die katholische Glaubenseinheit, hatten sich drei Gefahrenquellen aufgetan durch das Eindringen von Lehren, die eine dogmatische Einheit gefährdeten:

  • Die Lehre des Adoptianismus
  • Der Bilderstreit (Ikonoklasmus)
  • Der Streit um das filioque im Glaubensbekenntnis

Die Araber als Moslems landeten 710 in Spanien. In einem Zeitraum von sieben Jahren, die dem Sieg über die Westgoten 711 folgten, eroberten die arabisch-moslemischen Heere nahezu die ganze iberische Halbinsel mit Ausnahme eines schmalen Streifens südlich der Pyrenäen und Asturien, einem Gebiet im Nordwesten Spaniens. Damit endete auch die westgotische Kirchengeschichte, und es begann die Geschichte der Mozaraber, die bis zu einem gewissen Grade für die Christen zu einen Anpassungsprozess an die moslemische Welt führte. In diesem Zeitraum nahm auch die spanische Kirchengeschichte einen anders gearteten Verlauf, die theologische Gegensätze auslöste, die ihren Höhepunkt zum Ende des 8. Jahrhunderts erreichten. Im  letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts wurde ein Gruppe spanischer Theologen für eine Lehre verdammt, herausragende Vertreter waren der Erzbischof von Toledo, Elipandus, im arabischen Herrschaftsbereich  und Bischof Felix von Urgel, außerhalb des arabischen Machtbereiches in Asturien  gelegen. Der Kern dieser Lehre beinhaltete eine Christologie, in der Jesus Christus im Augenblick der Taufe durch Johannes den Täufer als Sohn Gottes adoptiert worden sei. Als dieses so vertretene Dogma über die spanische Halbinsel hinausgelangte, und zunächst im Süden des Frankenreiches um sich griff, entstand eine Art Alarmstimmung, die weite Kreise im gesamten Frankenreich erfasste, und den Anlass bildete zur Einberufung dreier Konzile, 792 in Regensburg, 794 in Frankfurt und 799 in Aachen. Bereits 785 hatte Papst Hadrian I. (772-795) die Lehre des Elipandus verurteilt, der sich Leo III. (795-816) in Rom anschloss.[204] 475, ein Jahr vor dem endgültigen Ende des weströmischen

[202] Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. S. 306

[203] ebd. S. 306 ff

[204] Cavadini, John C. The last Christology  of the West. Philadelphia 1993 S. 1

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Reiches erklärten die Westgoten mit ihrem König die Unabhängigkeit von Rom. 507 wurden die Westgoten vom Frankenkönig Chlodwig I. aus dem Süden Galliens vertrieben. Den Westgoten verblieb nur Spanien, das gänzlich unter ihre Herrschaft geriet. Nach der erfolgreichen Besitzergreifung des Landes, konnte die römisch-spanische Mehrheit ihre kulturelle Eigenständigkeit und den Verwaltungsaufbau beibehalten. Eroberer und Eroberte lebten in einer Koexistenz. Auch das katholische Glaubensbekenntnis blieb von den Westgoten, die sich als Arianer verstanden, unangetastet, bis 589 ein Westgotenkönig sich zum Katholizismus bekehrte, dem sich die Mehrheit der Westgoten anschloss, was den Zusammenhalt weiter bestärkte, und was dazu führte, dass die letzte Bastion der Byzantiner 634 in westgotische Hände fiel.[205] Spanien deshalb als isoliert vom übrigen Europa zu betrachten, hieße seine Einzigartigkeit zu unterschätzen, und die Bedeutung seiner kirchlichen Einheit. Der Sitz des Metropoliten von Toledo sicherte sich einen überragenden Einfluss in der Kirche Spaniens. Das geistig-kulturelle Leben der spanischen Christenheit erlitt keine Einbußen nach Eroberung des westgotischen Königreiches durch die Mauren, weil die moslemische Herrschaft in Spanien der Fortsetzung kultureller Traditionen keine Hindernisse bereitete, wie es die Westgoten zuvor gegenüber der römisch-katholischen Mehrheit auch gehandhabt hatten. Am Ende des 8. Jahrhunderts dehnte sich der karolingische Machbereich bis an die Grenzen Spaniens aus, die südlich der pyrenäischen Gebirgsbarriere verlief.[206] Gleichzeitig begegneten sich in der Theologie zwei christologische Welten. Die Gegensätze entzündeten sich zunächst im innerspanischen Bereich. Elipandus vertrat eine Christologie, in der Jesus Christus in seiner menschlichen Natur als ein adoptierter Sohn Gottes angesehen wurde. Sein Gegner war Beatus, Abt eines Klosters in Asturien. Er errang besondere Aufmerksamkeit als leitender Gegner der Adoptionisten, der seinen stärksten Ausdruck außerhalb des moslemischen Herrschaftsbereiches fand. Elipandus fand Rückhalt bei Bischof Felix von Urgel, der sich als starker Unterstützer der von Elipandus vertretenen Doktrin erwies. Er erregte zusätzliches Aufsehen, weil sein Bischofssitz außerhalb des moslemischen Machtbereiches angesiedelt war, und dem karolingischen Einflussbereich zugerechnet wurde. Die Auseinandersetzungen gewannen an Fahrt und die Herausforderung, ausgelöst durch Felix von Urgel, erzeugte eine Gegenposition, die sich durch Verbreitung  umfangreicher Literatur auszeichnete, herbeigeführt durch  Papst Hadrian I., Alkuin, und Paulinus von Aquileja.[207]

Es muss als abwegig angesehen werden, den Adoptionismus mit den christologischen Gegensätzen, die auf dem Konzil in Chalcedon (451) im Vordergrund standen, in Beziehung zu setzen, obwohl  auch hier die Natur Jesu Christi, die mit dem Streit um das arianische Bekenntnis ihren Ausgang genommen und ihre Fortsetzung gefunden hatte, in Frage stand. Zwei Pole im innerspanischen theologischen Schlagabtausch sollten ausgeklammert werden: Die Christologie, die auf Nestorius zurückgeführt wurde oder auf Eutyches, dem Begründer des Monophysitismus. Nestorius war von 428-431 Patriarch von Konstantinopel. Mit seiner Behauptung Maria sei Christusgebärerin und nicht Gottesgebärerin löste er einen Streit aus und wurde zum Begründer des Nestorianismus. Dieser Lehre zufolge hat Jesus Christus nicht nur eine göttliche, sondern auch eine menschliche Natur. Zwei Ökumenische Konzile beschäftigten sich mit dieser Thematik: Das Konzil von Ephesus 431 und das Konzil von Chalcedon 451. Die Beschlüsse beider Konzile wurden von den orientalischen Kirchen und den Nestorianern nicht

[205] Cavadini, John C. The last Christology of the West. Adoptionism in Spain and Gaul 785-820. S. 2

[206] ebd. S. 2 f

[207] ebd. S. 4

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anerkannt. Nestorius wurde nach dem Konzil von Ephesus seines Amtes enthoben. Ein Zitat aus dem Beschluss legte fest: „Wenn jemand nicht bekennt, dass Emanuel (Christus) in Wahrheit Gott ist und das deshalb die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist – denn sie hat dem Fleisch nach den aus Gott stammenden Fleisch gewordenen Logos geboren, so ist er ausgeschlossen.“ (zitiert in Wikipedia) Eine entgegengesetzte Bewandtnis hat es mit Eutyches. Seine Lehre besagt, in Jesus Christus gebe es keine zwei Naturen, nämlich eine göttliche und eine menschliche, die miteinander verbunden seien, sondern nur eine Natur, wobei die menschliche Natur von der göttlichen aufgesogen worden sei, wie ein Tropfen Honig im Ozean. (Wikipedia) Nach einigen Differenzen wurde diese Lehre auf dem Konzil in Chalcedon ebenfalls verworfen. Im spanischen Konflikt werden von den Kontrahänden keine Vorwürfe in die eine oder andere Richtung erhoben. Elipandus vermied es, Beatus als Anhänger des Eutyches zu bezeichnen, umgekehrt brachte Beatus Elipandus nicht mit Nestorius in Verbindung.[208] Das Ergebnis dieses theologischen Streites wiederlegt die Hypothese, Elipandus habe bewusst oder unbewusst Anknüpfungspunkte bei Nestorius gesucht und gefunden. Bei Betrachtung der Soteriologie (Lehre von der Erlösung) und Christologie (Lehre über Jesus Christus), wie sie von Elipandus oder Beatus vertreten wurden, führen zu einem besseren Verständnis der Positionen beider.[209] Die gegensätzlichen theologischen Sichtweisen bekommen ein anderes Gesicht durch den Eingriff von Papst Hadrian I. und in der Folge Alkuins in dem Verlauf vieler Disputationsbeiträge, sie interpretierten zuerst den Adoptionismus als eine Form des Nestorianismus. Es ist Alkuin, der von christologischen Voraussetzungen ausging, die grundlegend anders gestaltet waren, als sie von der spanischen Schule vertreten wurden. Ausgangspunkt für Alkuin war ein intensives Studium der Beschlüsse des Konzils von Ephesus.[210] Es muss noch einmal ein Blick auf Alkuin geworfen werden und seine herausragende Bedeutung am Hofe Karls. Karl war Alkuin in Italien begegnet, und es spricht für König Karl, dass er die Bedeutung dieser Persönlichkeit sofort erkannt hatte, und ihn an seinen Hof zog. Alkuin war als Diakon in den unteren Rängen der kirchlichen Hierarchie angesiedelt, dass er sich dennoch am Hof Karls so entfalten konnte, spricht für den Frankenkönig, der  nicht allein auf Rang und Titel achtete, sondern auch die Leistung in den Vordergrund seiner Beurteilung stellte. Später wurde Alkuin von Karl zum Abt von Tours ernannt, und es ist der Verdacht geäußert worden, Karl habe ihn weiter vom Hof entfernen wollen wegen mancher kritischen Haltung Alkuins, was besonders Karls Sachsenpolitik betraf und die Bekehrung mit Feuer und Schwert.

Alle Geschichte, die um den Adoptionismusstreit entstanden ist, beginnt mit Darstellungen und Stellungnahmen, die Elipandus an Migetius gerichtet hatte, in Zusammenhang mit den von ihm geäußerten Ansichten und theologischen Vorstellungen. Migetius ist im Dunkel der Geschichte verblieben, und sein Name ist nur dadurch bekannt geworden, weil im Nachlass von Elipandus, die an Migetius gerichteten Briefe den Namen dieses Mannes in Erscheinung treten lassen. Elipandus wandte sich an Migetius in seiner Eigenschaft als Erzbischof von Toledo und Primas der spanischen Kirche, wobei nicht mit letzter Klarheit ersichtlich ist, ob persönliche Begegnungen stattgefunden haben, oder ob sie sich nur vom Hörensagen kannten, darum ist es schwierig Migetius einzuordnen. Er könnte Positionen der Donatisten übernommen oder sogar eine Erneuerung donatistischer Theologie betrieben haben, über die aber wegen dürftiger Quellenlage wenig überliefert ist. Jedenfalls wurde rigoros ein puritanischer Lebenswandel

[208] Cavadini, John C. The Last christology of the West. S. 5

[209] ebd. S. 7

[210] ebd. S. 8

                                                                                                         80

angestrebt und erwartet. Migetius wollte vorschreiben und verbieten, sich mit Heiden oder  Moslems an einem Tisch zu setzen und mit ihnen  zusammen zu essen oder Nahrung einzunehmen, die mit heidnischen oder moslemischen Brauchtum in Verbindung gebracht werden konnten. Elipandus stellte ihm die Frage, ob er sich damit über Jesus Christus selbst stellen wolle, der sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch gesetzt habe. Im Brief an die Gemeinde in Korinth äußert sich der Apostel Paulus zu diesem Fragenkomplex in Kapitel 10, in den Versen 25-30:

(25) Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst und forschet nicht nach, damit ihr das Gewissen nicht beschwert. (26) Denn „die Erde ist des Herrn und was darinnen ist“. (Psalm 24,1) (27) Wenn euch einer von den Ungläubigen einlädt und ihr wollt hingehen, so esst alles, was euch vorgesetzt wird, und forscht nicht nach, damit ihr das Gewissen nicht beschwert. (28) Wenn aber jemand zu euch sagen würde, das ist Opferfleich, so esst nicht davon, um dessentwillen, der es euch angezeigt hat, und damit ihr das Gewissen nicht beschwert. (29) Ich rede aber nicht von deinem eigenen Gewissen, sondern von dem des anderen. Denn warum sollte ich das Gewissen eines anderen über meine Freiheit urteilen lassen? (30) Wenn ich’s mit Danksagung genieße, was soll ich mich dann wegen etwas verlästern lassen, wofür ich danke?[211]

An diesem Beispiel lässt sich ermessen, wie die Heilige Schrift eine Fülle von Ratschlägen für das alltägliche Leben enthält.

Es ergeht weiter der Vorwurf an Migetius, er habe den Bischofsitz in Rom in ungebührlicher Weise eine Stellung zugewiesen mit der Behauptung, die Kraft Gottes sei allein in Rom zu finden, wo Christus wohnt, und der Satz: „Du bist Petrus, auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen…“ bezöge sich ausschließlich auf Rom, es sei das Neue Jerusalem, beschrieben in dem prophetischen Wort der Offenbarung des Johannes, das einzige prophetische Buch im christlichen Kanon der Heiligen Schrift. Rom, so Migetius, sei ohne Fehl und Flecken.[212]

Für Elipandus waren die Irrtümer des Migetius besonders aber auf doktrinärem Felde zu suchen, die vorwiegend die Dreieinigkeit betrafen. Elipandus weist hin auf die besondere Absurdität einer Lehre über die Dreieinigkeit, wie von Migetius vertreten, in der Vater, Sohn und Heiliger Geist gleichgesetzt werden mit den Personen König Davids als Vater, Jesus Christus als Sohn und der Apostel Paulus als Heiliger Geist.[213]

Es ist in der Tat zutreffend, die erste Erwiderung an Migetius kann als eine Christologie der einen Person gelten, und wenn jemand in diesem Zusammenwirken als Anhänger nestorianischer Christologie angesehen werden müsste, dann ist es Migetius.[214] Elipandus ist vielleicht eine der interessantesten Figuren in der Dogmengeschichte, Fakten sind aber nur dunkel und unzulänglich überliefert. Wenn seine Person nicht so umfangreiche über die Grenzen Spaniens hinaus breit angelegte Kontroversen ausgelöst hätte, wäre wohl nicht mehr übrig geblieben als ein Eintrag in die Archive von Toledo und seine Briefe an Migetius.[215] Gegenüber Migetius wollte er Klarheit herbeiführen über den Glauben an die Dreieinigkeit aus seiner Sicht. Mehr als 75% der Texte setzen sich mit dem Dogma der Dreieinigkeit

[211] revidierte Übersetzung nach Luther. Stuttgart 1984

[212] Cavadini, John C. The Last Christology of the West. S. 10 f

[213] ebd. S. 15

[214] ebd. S. 22

[215] ebd. S. 24

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auseinander, angefüllt mit Analogien und Erklärungen, ähnlich der Christologie Augustins, die ohne Abstriche als antiarianisch angesehen werden muss. Wer sind die Personen der Dreieinigkeit? Sie sind eine Dreieinigkeit in einer Natur und das Wesen der Gottheit. Der Vater geht dem Sohn nicht voraus in einer zeitlichen Abfolge, wie es den Vorstellungen des Migetius entsprach.[216] Weiter ist des ewigen Sohnes Selbstentäußerung, wie sie in dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde der Philipper in Kapitel 2 in den Versen 6-10 zum Ausdruck kommt und interpretiert wird mit dem Ziel, die adoptionistische Lehre zu untermauern: (6) Obwohl Er sich in der Gestalt Gottes befand, wollte er dennoch nicht gewaltsam an seiner Gottesgleichheit festhalten, (7) vielmehr entäußerte er sich, nahm Knechtsgestalt an und ward dem äußeren Menschen ähnlich. Im Äußeren als ein Mensch erfunden, (8) er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. (9) Darum hat ihn Gott auch so hoch erhoben und Ihm den Namen gnädiglich verliehen, der über alle Namen ist; (10) im Namen Jesu sollen sich alle Knie beugen im Himmel auf der Erde und in der Unterwelt.[217] Die Antworten auf die Fragen nach den drei Personen der Dreieinigkeit, haben vielfältige Deutungsmuster aufzuweisen, die bis zum heutigen Tage in der Christenheit kein eindeutiges Bild und keine einhelligen Antworten erkennen lassen. Für Elipandus bedeutet die Aussage im Philipperbrief eine „Entleerung“, nicht nur in Beziehung auf die Gottheit selbst, sondern auch, was immer auch an rationalen Eigenschaften definiert wird, eine Teilhabe an der Gottheit selbst, denn die Beziehung des Sohnes zum Vater kann charakterisiert werden als Licht vom Licht, als wahrer Gott vom  wahren Gott, wie im Glaubensbekenntnis (Apostolikum) auf dem Konzil von Nicäa 325 festgelegt. Es ist die Beschreibung einer einzigartigen Beziehung. Die Selbstentäußerung des Sohnes impliziert für Elipandus eine „Selbstentleerung“, die sich in einer einzigartigen Beziehung in einer anderen Natur entfaltet, aber es ist dieselbe Beziehung und nicht als neue Person definiert, wenn sie sich in einer anderen Natur manifestiert. Es bedeutet, sie ist ihrer einzigartigen Beziehung entkleidet, wenn es im Apostolikum heißt: Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, dann gilt er als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt. Elipandus unterscheidet aber zwischen Einziggeborener und Erstgeborener, als Erstgeborener ist er als Sohn adoptiert.[218]In dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom heißt es dazu im 8. Kapitel, in Vers 29. (29) Denn die, die Er vorher erkannte, hat Er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleich zu werden, der dadurch der Erstgeborene unter vielen Brüdern wird.[219] Denn der Sohn, der vor den Zeitaltern der Einziggeborene, gezeugte, nicht geschaffene, wurde Substanz der Gottheit genannt, als Erstgeborener aber zur Natur des angenommenen Fleisches gerechnet.[220] Elipandus sieht zwei wechselseitig sich gegenseitig ausschließende Naturen in Christus, eine als Adoption und eine der göttlichen Natur nach und trotz seiner Behauptung in Christus die Einheit einer Person zu sehen, vertritt er in Wahrheit die Lehre der zwei Söhne und Personen, die auf Nestorius zurückgeführt werden kann. Ein Vorwurf, den Papst Hadrian I. bereits 785 in einem Brief an die spanischen Bischöfe erhoben hatte. Das Argument wird näher betrachtet in der Auseinandersetzung zwischen Alkuin und Felix von Urgel.[221] Der Nachweis, Elipandus habe unter dem Einfluss nestorianischer Lehre gestanden, kann nur virtuell erbracht, historische Quellen können in dem nötigen Umfang dazu nicht

[216] Cavadini, John C. The Last Christology of the West. S. 28

[217] Übersetung nach Rupert Storr. Mainz 1956 (kath)

[218] Cavadini, John C. The Last Christology of the West. S. 35

[219] Übersetzung nach Rupert Storr. (kath.)

[220] Aus einem Zitat bei Cavadini. S. 37

[221] ebd. S. 38

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herangezogen werden. Es besteht die Möglichkeit der Einflussnahme von Nestorianern in einigen Gegenden des mozarabischen Spaniens, ob sie aber integrierter Bestandteil der christlichen Bevölkerung waren ist schwer feststellbar. Die geistigen Herausforderungen um das Verständnis zur Dreieinigkeit waren Gegenstand christlicher-moslemischer Streitkultur in Spanien, wo persönliche Begegnungen dazu einluden, einen Dialog zu führen. Dazu ist eine fiktive dialektisch geführte Konversation überliefert durch die Apologie (Verteidigungsrede) von Timotheus I. als nestorianischer Patriarch von 780-823 und Kalif Mahdi: Und unser König sagte zu mir: „Glaubst du an Vater, Sohn und Heiligen Geist?“ Und ich antwortete: „Ich bete sie an und Glaube an sie.“ Darauf sagte unser König: „Dann glaubst du also an drei Götter?“ Eine Frage, die zu einer weiteren ausführlicheren schriftlichen Erklärung Anlass bot, worin noch einmal dargelegt wurde, dass Dreieinigkeit nicht zugleich drei Götter bedeute. Der König war dennoch nicht überzeugt, es können, so die Antwort, weder drei noch zwei verschiedene Aussagen über Gott getroffen werden, es könne in Gott keine Mehrzahl geben. Der Dialog wurde fortgesetzt, zunächst wiederum in schriftlichen Abhandlungen, die in keiner Richtung eine Überzeugung bewirkten. Der moslemische Part bestand darauf, die Wesensgleichheit von Vater, Sohn und Heiliger Geist müsste als eine Beleidigung Gottes aufgefasst werden, weil es Mehrzahl in einem Gott bedeutet. Der eine ist ewig Gott von Gott, der andere ist zeitlich. Der König fährt fort zu widersprechen, weil er nicht überzeugt werden kann, beide stimmen jedoch in dem Punkt überein, worin das Argument der Monophysiten, Gott habe gelitten und sei im Fleisch gestorben, als falsch erkannt wird. Nachdem Timotheus erläutert hatte, der Sohn und Jesus Christus seien im Fleisch gestorben, kam es zu einer Annäherung der Standpunkte, die darin bestand, den Nestorianern zu bescheinigen, sie stünden näher an der Wahrheit. Die Monophysiten hatten in den Gegensätzen, die weitgehend, wenn nicht ausschließlich, in den Kirchen des Ostens und den Konzilen, die dort stattgefunden hatten, abgewickelt wurden war, die provokante Frage gestellt: Wer wagt es zu behaupten, dass Gott stirbt?[222] Der moslemische Gesprächspartner weigerte sich, in irgend eine theologische Richtung irgendwelche Konzessionen zu machen, was immer auch zu einem Wort und Gottes Sohn gesagt werde, ihr alle liegt falsch. Es war das letzte Wort. Die beiden gingen freundlich auseinander. Timotheus hatte noch den Hinweis gegeben, wie Christus im Koran als Wort und Geist Gottes aufgefasst werden, aber es genügte nicht, die Standpunkte anzunähern. Es muss abschließend festgestellt werden, zumindest aus zeitgenössischer moslemischer Perspektive, gab es keinen unbedingten Vorteil, für die Christologie der Nestorianer einzutreten. Elipandus vertrat zwar die „eine Person“ Christologie gleichwie die Nestorianer, aber ein Unterschied bleibt zu ihren Systemen. Zum besseren Verständnis müssen noch einmal kurz und knapp die Positionen der Nestorianer und der Monophysiten erläutert werden. Der Hauptpunkt des Nestorianismus besteht in der Lehre, es habe in Christus eine göttliche und eine menschliche Natur gegeben. Jedes zugeordnete Attribut und jede Handlung des im Fleisch inkarnierten Christus könne einer dieser Personen zugeordnet werden. Maria, die Mutter Jesu, wird als Christusgebärerin oder Menschengebärerin gesehen und als solche auch verehrt und nicht als Gottesgebärerin. Der Monophysitismus ist die christologische Lehre, in der Jesus Christus nach der Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen in der Inkarnation im Fleisch nur eine einzige göttliche Natur habe. Elipandus wird, flüchtig betrachtet, in seiner historischen Bedeutung eher als eine Randerscheinung wahrgenommen. Das gilt noch mehr für seinen Hauptkritiker, Beatus von Liebena, der ein noch schwächeres Bild hinterlassen hat. Der von Spanien ausgehende theologische Streit hat dennoch weite Kreise gezogen, so dass sich Karl und Papst Hadrian zu einer groß

[222] Cavadini, John C. The Last Christology of the West. S. 39 ff

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angelegten Abwehrreaktion veranlasst sahen. Beatus könnte ein Mönch und Abt eines Klosters in Asturien gewesen sein, eine Region im Nordwesten Spaniens, die von moslemischer Herrschaft ausgespart blieb.[223] In der ersten Betrachtung lassen sich zwischen beiden Gemeinsamkeiten finden, sie bewunderten die Patristiker, besonders der spanischen Kirche, beide haben zu Rom und die von da ausgehende und geforderte Vorherrschaft eine distanzierte Haltung, und schließlich vermeiden beide, Beschlüsse des Konzils von Chalcedon 451 zu zitieren. Elipandus vermied es, Beatus in die Nähe von Eutyches und die Monophysiten zu rücken, in gleicherweise wurden von Beatus über Elipandus keine Verdächtigungen verbreitet, die ihn den Nestorianern zugeordnet hätten.[224] Beatus, jedoch, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Elipandus zu widerlegen. Fußend auf die Kirchenväter Tertullian (150-220), Cyprian (200-258) und Augustinus, herausragende Vertreter der Kirche des Westens, geht Beatus ans Werk. Eine Christologie der zwei Naturen oder Substanzen in einer Person, nicht weil eine Substanz (das Beharrende im Gegensatz zu wechselnden Zuständen und Eigenschaften), geformt aus beiden von diesen, sondern eine Person ist in beiden enthalten. Es ging um eine Lehre, dass Jesus Christus der Sohn Gottes, der Gott-Mensch wurde, von einer Jungfrau geboren, gleichwie die Seele mit dem Leib geboren wurde. Der Sohn allein wurde als Mensch geschaffen, nicht in Einheit der Natur[225]  aber in Einheit der Person[226], gezeugt vom Vater ohne zeitlichen Anfang. Eine Natur ist vom Fleisch, eine Substanz gehört beiden: Christus und dem Vater. Mit dem Vater ist er vollkommener Gott, mit uns Menschen vollkommener Mensch. Jesus Christus eine Person mit zwei Naturen: Gott und Mensch. Eine Erklärung dazu findet sich in dem Evangelium nach dem Apostel Johannes, Kapitel 1, Vers 14: (14) Und das Wort wurde Mensch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit des einziggeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.[227] In Vers 1 desselben Kapitels wird der Begriff Wort definiert: (1) Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.[228] Im griechischen Urtext steht für Wort „Logos“, was weit über das hinausgeht, was gemeinhin unter „Wort“ verstanden wird. Logos ist die im Geiste fertige Schöpfung, genau wie das vom Menschen geschaffene geistigen Ursprungs ist, bevor es als Substanz (Stoff, Materie) geformt wird. Mit „Fleisch“ hat es aber noch eine andere Bewandtnis, sie wird uns in dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom in Kapitel 8, in den Versen 1-9 beschrieben: (1) Nunmehr aber gereicht nichts mehr denen zur Verdammnis, die in Christus Jesus sind [und nicht nach dem Fleische wandeln]. (2) Denn es hat das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus dich vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit. (3) Was nämlich dem Gesetz unmöglich war, weil es ohnmächtig war durch das Fleisch: Gott sandte seinen  Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und hat das Gericht gehalten über die Sünde am Fleische, (4) damit die Forderung des Gesetzes in uns erfüllt werde, die wir nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist. (5) Denn die nach dem Fleische leben, trachten nach dem, was des Fleisches ist, die aber nach dem

[223] Cavadini, John C. The Last Christology of the West. S. 45

[224] ebd. S. 47 f

[225] ...inhaltlich der Inbegriff, die Gesamtheit aller unmittelbaren Wirklichkeit, aller dinge und Geschehnisse in ihrem ganzheitlichen Zusammenhang, formal das Sein überhaupt. In der Scholastik wurde zwischen dem ewigen Schöpfergott, der schaffenden Natur [natura naturans], und endlichen"erschaffenen Natur [natura naturata] unterschieden.

[226] Person in diesem Sinne wurde in der mittelalterlichen Philosophie öfter mit dem Begriff "unsterbliche Seele" identifiziert. In der christlichen Religion beispielsweise steht der Begriff der Person für eines der zentralen Wesensmerkmale Gottes.

[227] revidierte Übersetzung nach Martin Luther. Wollerau (Schweiz) 2009

[228] ebd.

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Geist leben, nach dem, was des Geistes ist. (6) Das Trachten des Fleisches ist Tod, das Trachten des Geistes Leben und Friede. (7) Das Trachten des Fleisches ist feindlich gegen Gott, es unterwirft sich ja dem Gesetz Gottes nicht und kann es auch nicht. (8) Die im Fleische sind können Gott nicht gefallen. (9) Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geiste, vorausgesetzt, dass der Geist Gottes in euch wohnt. Wer aber den Geist Christi nicht hat, gehört nicht zu ihm.[229] Das Fleisch, das im Evangelium nach Johannes in Kapitel 1, Vers 14 zur Darstellung gelangt, wo es in vielen Übersetzungen auch heißt: Das Wort ward Fleisch…, unterscheidet sich wesentlich von dem Fleisch, das uns in dem Brief an die Gemeinde in Rom entgegentritt.

Die Natur der Göttlichkeit ist das eine, die der Unterwerfung das andere, dennoch war es der eine und derselbe Christus in der Person der Gottheit und der Person der angenommenen Menschheit. Der ganze Christus ist Wort (Logos) Seele (Geist) und Fleisch. Wenn eine Substanz davon abgezogen wird, von diesen drei Substanzen mit der Aussage, sie gehöre nicht zu Christus dann wird der ganze Christus geleugnet. Weiter erklärt Beatus, dass nur der Mensch in Christus leidet, nicht aber Gott. Diese Einstellung gleitet gefährlich nahe zu der Ansicht, es gebe in Christus eine Person aber zwei Naturen, die auf eine Trennung der Person hinauslaufen.[230] Er ist einmal der der gezeugte Sohn Gottes und einmal der erstgeborene, die jeweils zwei Naturen angehören.[231]Das Wort wurde Fleisch, aber es wurde nicht in Fleisch verwandelt, gleichwie die Seele des Menschen nicht in Fleisch verwandelt wird, und seit das Wort in dem Fleisch Jesu Christi wohnt, so wohnt es auch in der Natur des Menschen. Mit diesem Fleisch ist die Kirche verbunden, in der Jesus Christus das Haupt und der Leib ist.[232] Im 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth im Kapitel 12, Vers 12 wird es anschaulich gemacht: (12) Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl ihrer viele sind, doch ein Leib sind, so auch Christus.[233]

Wer ist der Sohn Gottes, wenn nicht der von der Jungfrau Maria geborene? Wäre er es nicht, der Engel hätte nicht Maria verkündigen können, wie im Evangelium nach Lukas Kapitel 1, Vers 31-33 berichtet: (31) Wisse wohl: du wirst guter Hoffnung werden und Mutter eines Sohnes, dem du den Namen Jesus geben sollst. (32) Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, (33) und er wird als  König  über das Haus Jakobs in alle  Ewigkeit herrschen, und sein Königtum wird kein Ende haben.[234] Es hätte vielmehr heißen müssen: Er soll Jesus heißen, adoptierter Sohn des Höchsten im Hinblick auf seine Menschheit, und absolut nicht adoptiert im Hinblick auf seine Gottessohnschaft. Beatus hat, damit er in der Rhetorik der Beleidigung nicht übertroffen werden kann, spöttisch die eigenen Worte des Elipandus auf die Lippen des Engels gesetzt.[235] Die von Elipandus vertretene Christologie ist im Grunde eine Ideologie des Stolzes, ein Versuch sich über Gott zu erheben. Beatus verfasst eine Analyse über den grundlegenden Irrtum von Elipandus, der darauf abzielt Jesus als adoptiert unter Adoptierten und als Diener unter Dienern zu betrachten. Elipandus, jedoch, ist selbst als Erzbischof

[229] Übersetzung nach Kürzinger (kath.)

[230] Cavadini, John C. The Last Christology of the West. S. 48 f

[231] ebd. S. 50

[232] ebd. S. 55

[233] revidierte Übersetzung von 1984 nach Martin Luther. Stuttgart 2007

[234] Übersetzung nach Herrmann Menge (ev.)

[235] Cavadini, Johm C. S. 61

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von Toledo der Erlösung bedürftig, wie jeder andere Mensch auch.[236] Der Primas von Spanien unternimmt zu viel, überschwänglich von Stolz erfüllt, um sich selbst  zusammen mit Christus als ein Christ zu beweisen….In seiner Verrücktheit macht er keinen Unterschied zwischen sich selbst und dem Sohn Gottes.[237]

Es ist unwahrscheinlich, dass die Gegensätze in Spanien, mit dem Austausch der theologischen Positionen zwischen Elipandus und Beatus, ein Ende gefunden hätten.[238] Es war nicht das erste Mal in der Kirchengeschichte, dass eine Entwicklung ihren Verlauf nahm mit bedrohlichen Ausmaßen für die Glaubenseinheit und den staatlichen Zusammenhalt. Die aufgezeigten Kontroversen sind in der christlichen Welt nie ganz ausgeräumt worden und haben sich in einem Zeitraum von nahezu zweitausend Jahren erhalten, dennoch ist der christliche Glaube erhalten geblieben, weil der Glaube den Menschen etwas vermittelt, was keine Philosophenschule oder politische Richtung zu bieten vermag. Eines tritt dabei deutlich hervor: die hinzugekommenen theologischen Lehrsätze sind entweder eine Abweichung vom Nicänischen Bekenntnis und vom Nicäno-Konstantinopolitanum oder es sind Bekenntnisgrundsätze hinzugefügt worden, wie sie in den beiden Bekenntnissen, die den absoluten Kern der der Botschaft des Evangeliums enthalten, nicht zu finden sind. Die von Spanien ausgehenden verschiedenen theologischen Denkrichtungen hatten eine Ausgangslage, die besonderes Augenmerk auf sich zog. Asturien, der Wirkungskreis von Bischof Felix von Urgel, und die Spanische Mark wurden dem fränkischen Einflussbereich zugerechnet, wobei Asturien sich eine größere Unabhängigkeit bewahren konnte. Zuvor, während der Herrschaft der Westgoten, gehörten diese Gebiete in die kirchliche Zuständigkeit des Erzbistums von Toledo. Diese Zusammenhänge ergaben einen unterschiedlichen historischen Verlauf zum übrigen Westeuropa. In dieser Konstellation betrat ein weiterer Amtsträger, Bischof Felix von Urgel das Feld der geistigen Auseinandersetzungen, der schnell Aufmerksamkeit fand und nicht übergangen werden konnte. Elipandus hatte in einem Schreiben Fragen abgehandelt zur Einstellung, die Felix über die Natur von Jesus Christus verbreitet hatte. Die aus dem Spanischen Bereich kommenden Lehrmeinungen hatten Verbreitung gefunden und Befürchtungen ausgelöst, die eine Abwehr erforderlich machten. 792 hatte Felix sich nach Rom begeben, nachdem er im gleichen Jahr auf dem Konzil von Regensburg verurteilt worden war, das Karl eigens zur Gefahrenabwehr einberufen hatte. Der Zweck dieser Romreise war begründet in einem Widerruf vor Papst Hadrian durch Felix von Urgel. Regensburg war erst der Anfang, zwei weiterer Konzile, 794 in Frankfurt und 799 in Aachen, wurden als erforderlich angesehen, außerdem hatten die aus dem spanischen Bereich herrührenden Einflüsse eine Gegenwehr ausgelöst, die in einer Missions-und Überzeugungsarbeit bestand, um eine Ausbreitung der als falsch angesehenen Lehren zu verhindern.[239] Felix hatte sich Ansehen verschafft und Alkuin, gestützt auf Papst Hadrian, war ausersehen, Felix entgegenzutreten und zu widerlegen, was in einer umfangreichen Auslegung in sieben Büchern geschah. 785 hatte sich Papst Hadrian in Briefen an die spanischen Bischöfe gewandt mit kritischen Kommentaren zu von Elipandus verbreiteten Lehrmeinungen. Hadrian berief sich auf das Konzil von Ephesus und sah in den aus Spanien eindringenden Einflüsse eine Neuauflage der von den Nestorianern vertretenen Positionen und äußert sich drastisch: „Niemand, welche Häresie auch immer, hat es gewagt zu bellen und solche Gotteslästerungen zu verbreiten, es sei denn

[236] Cavadini, John C. S. 68

[237] zitiert in Cavadini, John C. S. 68

[238] ebd. S. 71

[239] ebd. S. 72

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der perfide Nestorius, der bekannte, Gottes Sohn sei nur ein Mensch. Wenn jemand sagt, Gottes Sohn sei ein Individuum und der von Maria geborene ein anderes Individuum, durch Gnade adoptiert, bis hin zu dem Punkt, es gebe zwei Söhne und von Natur aus Sohn und einer ein Mensch von Maria durch Gnade, den belegt die katholische und apostolische Kirche mit dem Anathema.“[240] Hadrian war nicht bereit zu einem Zugeständnis, das in einer ordnungsgemäßen Verwendung des Wortes Diener (Sklave) im Hinblick auf Jesus bestanden hätte. Für Hadrian bedeutet das Wort Gebundenheit zur Sünde, was weit von der Interpretation des Elipandus entfernt ist. Keiner der Evangelisten oder Apostel benutzt diesen Begriff, sie nennen Jesus Herr und Erretter. Hadrian greift zu auf die Verse in dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper, Kapitel 2, Verse 6-7, worin die angesprochene Dienerschaft Jesu Christi von Elipandus als „Selbstentleerung“ gedeutet wird. Der korrekte Gebrauch des Wortes Diener wird dadurch ausgeschlossen. Nach Hadrian nennt Paulus ihn Herr in seiner universellen Bedeutung. Dieser Abschnitt des Philipperbriefes, so findet Hadrian, betont über die Maßen die „Selbstentfremdung“, wie sie von Elipandus aus dem Vers 7 herausgelesen wird, die auf Nestorius zurückgeht. Die fränkischen Bischöfe verwerfen ebenfalls den christologischen Standpunkt, wie er von Elipandus und danach mit Entschiedenheit von Felix vertreten wurde; sie sehen eine theologische Nähe zu Nestorius. Alkuin, indem er für die fränkischen Bischöfe spricht, verfolgt die von Hadrian vertretene Linie, und macht dazu weitergehende Ausführungen. Er kommentiert und fragt, welche andere Bedeutung könnte Adoption haben, außer dass Jesus Christus nicht der eigene Sohn Gottes, noch als Sohn der Jungfrau Maria geboren wurde zu Ihm (Gott), sondern eher als ein Diener (Sklave) adoptiert. Für Alkuin und die fränkischen Bischöfe kann nur eine Bedeutung für das Wort Adoption vorliegen. Sie stimmen mit Hadrian überein, verteidigen diese christologische Linie und gehen ausführlich darauf ein.[241]

Das Wort Sklave ist als Unterwerfung unter die Sünde zu verstehen. Aus dieser Unterwerfung und Gebundenheit entsteht für den Menschen die Notwendigkeit zur Adoption,[242] die nicht verwechselt werden darf mit dem Adoptionsbegriff der spanischen Bischöfe. Was es mit dieser Adoption auf sich hat, wird anschaulich gemacht im Evangelium nach Johannes Kapitel 1, Vers 12-13: (12) Allen, aber, die Ihn aufnahmen, gab er vollmacht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, (13) die nicht aus dem Blute und nicht aus dem Wollen des Fleisches und dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.[243]  Eine Definition, die Unterwerfung und Knechtschaft darstellt, wird gegeben in dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom, Kapitel 6 in den Versen 19-23. (19) Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. (20) Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. (21) Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, denen ihr euch heute schämt, denn das Ende derselben ist der Tod. (22) Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. (23) Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.[244] Die Propheten im

[240] Cavadini, John C. S. 74

[241] ebd. S. 76 ff

[242] ebd. S. 78

[243] Übersetzung nach Kürzinger (kath.)

[244] revidierte Übersetzung nach Luther, Wollerau 2009

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hebräischen Kanon der Heiligen Schrift haben Christus mit dem Wort Knecht (Diener) umschrieben, aber Hadrians Anliegen war es, den Gehorsam zu betonen, den Jesus Christus gegenüber dem Vater vollzog, bis hin zum Tode am Kreuz, wie es der Apostel Paulus im Brief an die Philipper, Kapitel 2, in den Versen 2-8 aufgreift. Elipandus erfährt Schelte und Gegnerschaft in gleicher Weise von den fränkischen Bischöfen: Wenn er also von einer Jungfrau geboren wurde als wahrer Gott, wie könnte der dann adoptiert oder Sklave seins?  Um sicher zu sein, darfst du es nicht wagen, zu bekennen; Gott sei ein Knecht (Diener, Sklave) und/oder adoptiert. Wenn also der Sohn Gottes zum Zeitpunkt der Empfängnis wahrer Gott ist, wann ist da ein Zeitpunkt gewesen, dass er Mensch war ohne Gott, wie hätte er dann adoptiert werden können, Gottes Sohn zu sein?[245] Diese Fragen wurden gestellt aus der Sicht und Interpretation fränkischer und auch italienischer Bischöfe. Adoption wird gesehen als reiner Mensch (purus homo) ein Mensch ohne Gott (sine Deo) und somit der Lehre des Nestorius verknüpft; eine Interpretation die von außen herangetragen worden ist. Damit verbunden standen Fragen im Mittelpunkt auf dem Konzil in Frankfurt 794. Zu dem Zeitpunkt war das Ringen um die verschiedenen Lehrmeinungen zur Christologie fast zehn Jahre alt, seit Papst Hadrian sich 785 zum ersten Mal in einem Brief geäußert hatte.[246]

Weitaus größeren Umfang und größeres Aufsehen erregte der Meinungsaustausch zwischen Alkuin und Bischof Felix von Urgel, der seinen Ursprung hatte im Eingreifen Karls in die Diskussionen und theologischen Differenzen. Der Hauptverfechter der Interessen und Ansichten Karls war Alkuin. Aber auch die fränkischen Bischöfe wandten sich insgesamt geschlossen an ihre spanischen Amtsbrüder in einer Entgegnung zu den einzelnen Argumenten auf spanischer Seite. Die Spanier hatten ihre Darstellungen mit Rückgriff auf Isidor von Sevilla (560-636) untermauert, eine Persönlichkeit, die sich nicht nur auf dem Gebiete der Theologie vernehmen ließ, sondern  in anderen Wissenschaften Bedeutendes leistete und seiner Zeit damit voraus war. Auf ihn ging die Gegenüberstellung von primogenitus (erstgeborener) und  unigenitus (eingeborener) zurück, die von adoptionistischer Seite auf die beiden Naturen Christi übertragen worden waren, was die fränkischen Bischöfe zurückwiesen: „Wir wissen nämlich, dass der Sohn Gottes Gott ist aus beiderlei Natur sowohl eingeboren als auch erstgeboren, weil er einzig ohne Anfang aus Gott, dem Vater, gezeugt ist und einzig seit Beginn der Zeit von der Mutter, einer Jungfrau, geboren worden ist, und daher in beiderlei eingeboren und auch erstgeboren (ist), denn jeder eingeborene ist (auch) ein Erstgeborener, wenn auch gemäß dem menschlichen Geschlecht nicht jeder Erstgeborene eingeboren ist.[247] Alkuin und die fränkischen Bischöfe setzten dem adoptionistischen Ansinnen eine differenziertere Bezeichnung der menschlichen Natur Christi  als primogenitus und der göttlichen Natur als unigenitus so entgegen, dass die personale Einheit beider Naturen ununterscheidbar zugleich unigenitus und primogenitus sei. Die fränkischen Bischöfe verwerfen wie zuvor schon ihre oberitalienischen Amtsbrüder die von den Spaniern vorgetragene Lehre von den drei Substanzen in Christus und die Bezeichnung Christi als göttlicher Mensch und menschlicher Gott. Sie verweisen in diesem Zusammenhang die Konzile von Nicäa (325) und Chalcedon (451): „Was ihr im Folgenden angefügt habt, haben wir nicht als Aussage im Bekenntnis der Symbole zu Nicäa gefunden, das in Christus zwei Naturen und drei Substanzen seien, und dass er

[245] zitiert in Cavadini, John C. S. 78

[246] ebd. s. 79

[247] Nagel, Helmut: Karl der Große und die theologischen Herausforderungen seiner Zeit. Zur Wechselwirkung zwischen Theologie und Politik im Zeitalter des großen Frankenherrschers. Berlin; Bern; New York; Paris; Wien 1998 zitiert auf S. 92 f

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göttlicher Mensch und menschlicher Gott sei. Was ist die Natur des Menschen, außer Seele und Körper, oder was ist zwischen Natur und Substanz, dass es für uns nötig wäre, drei Substanzen anzunehmen und nicht viel einfacher, wie die heiligen Väter es gesagt haben, unseren HERRN Jesus Christus als wahren Gott und wahren Menschen in einer Person zu bekennen? Es ist aber die Person in der Heiligen Dreifaltigkeit geblieben, zu welcher (Person) die menschliche Natur hinzugekommen ist, so dass eine Person ist, Gott und Mensch, nicht Gott gewordener Mensch und Mensch gewordener Gott, sondern Gott-Mensch und Mensch-Gott, wegen der Einheit der Person ein einziger Sohn Gottes und derselbe Sohn des Menschen, vollkommener Gott und vollkommener Mensch.[248]

Im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 5, Vers 48 heißt es am Schluss der Bergpredigt durch Jesus Christus dazu: (48) Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.[249] Dies ist nicht nur ein Gebot und Erfordernis, es zeigt auch die Zielsetzung, wie sie für das menschliche Individuum vorgesehen ist, nämlich die Umgestaltung des Menschen in das Ebenbild Gottes zu dem er geschaffen wurde und die Rückführung dahin. In Genesis (1. Buch Mose), Kapitel 1, Vers 27 werden Absicht und Bestimmung zur Erschaffung des Menschen definiert: (27) Und Gott schuf den Menschen als Sein Bild. Als Gottes Bild schuf Er ihn. Er schuf sie als Mann und als Weib.[250] In dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom, Kapitel 5, Vers 14, ist etwas ausgesagt über Adam[251] und Christus: (14) Dennoch herrschte der Tod von Adam an bis Mose auch über die, die nicht gesündigt hatten durch die gleiche Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild dessen, der kommen sollte.[252] Adam und Evas Sünde ist kein Vergehen im Sinne des Dekalogs (zehn Gebote). Was es damit auf sich hat, erfährt die Menschheit in Genesis Kapitel 2, in den Versen 8-10 und 15-17: (8) Nun hatte der Herr Gott im Osten einen in Garten Eden gepflanzt; dort ließ er nun den Menschen sein, den er gebildet hatte. (9) Allerlei Bäume, lieblich zur Schau und köstlich als Speise, hatte der Herr Gott aus dem Boden sprießen lassen, in des Gartens Mitte aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. (15) Der Herr Gott nahm also den Menschen und setzte ihn in Edens Garten, dass er ihn bebaue und pflege. (16) Und der Herr Gott gebot dem Menschen und sprach: „Von allen Bäumen im Garten darfst du nach Belieben essen. (17) Nur von dem Baume, der Gutes und Böses kennen lehrt, darfst du nicht essen. Denn sobald du von ihm issest, bist du des Todes.[253] Die Geschichte vom Sündenfall, die uns in Genesis 3 entgegentritt ist sattsam bekannt. Von einem Apfel ist da oft die Rede gewesen, den Eva dem Adam gereicht habe. Im Kanon der Heiligen Schrift ist von keinem Apfel die Rede, es handelt sich hier eher um eine oberflächliche oft ins lächerliche gezogene Betrachtung. Wie stellt sie sich in Wirklichkeit dar? Ganz entscheidend und ausschlaggebend ist das Ergebnis des Sündenfalles, darüber wird in Genesis 3 am Ende berichtet in den Versen 22-24: (22) Und Gott der Herr sagte: „Sieh, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.- Nun aber, damit er nicht seine Hand ausstrecke und auch vom Baume des Lebens nehme und esse und ewig lebe“, – (23) wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er den Erdboden bebaue, von dem er genommen war. (24) Und er trieb den Menschen hinaus und ließ die Cherubim mit dem flammenden Schwert östlich vom Garten Eden lagern, um den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen.[254] Aber der Zugang sollte nicht für immer versperrt sein, wie das Versprechen, das Jesus Christus dem neben ihm am Kreuze hängenden in seiner letzten Stunde gegeben, nach dem dieser Reue gezeigt hatte, wie es im Evangelium nach Lukas; Kapitel 23, Vers 42-43 berichtet wird: (42) Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! (43) Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradise sein. In dem prophetischen Buch der Offenbarung des Johannes, Kapitel 2, Vers 7 steht dazu: (7) Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer

[248] Nagel, Helmut: Karl der Große und die theologischen Herasuforderungen seiner Zeit. S. 93

[249] revidierte Übersetzung nach Luther. 1984

[250] Übersetzung nach Paul Riessler (kath). Rottenburg 1956

[251] Adam ist zugleich das hebräische Wort für Mensch

[252] revidierte Übersetzung nach Luther. Stuttgart 1984

[253] Übersetzung nach Paul Riessler

[254] revidierte Übersetzung nach Luther. Wollerau 2009

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überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.[255] Was hat die ersten Menschen, Adam und Eva (die Mutter aller Lebendigen), nachdem ihnen der Odem Gottes eingegeben worden war zur Handlung bewogen entgegen dem ausdrücklichen Gebot, nicht von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu essen? Sie hatten den Einflüsterungen der Schlange Raum gegeben, die in dem Satz gipfelten: Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

Nach diesem Ausflug erfolgt erneut die Anknüpfung dort, wo vieles begonnen hat, was bestimmend werden sollte für die Geschichte der westlichen Welt oder des viel besungenen christlichen Abendlandes. Eine Frage lässt sich nicht umgehen, die durch den Standpunkt Alkuins und der fränkischen Bischöfe aufgeworfen worden ist. Es heißt bei ihnen, der Mensch sei geschaffen mit Leib und Seele und bilde mit beiden eine Einheit. Unzweifelhaft besteht hier eine Wechselwirkung und auch ein Zusammenhang Es kann keine Trennung geben zwischen psychischer und physischer Befindlichkeit, es sei in Freude oder im Leid, und wenn von Leib und Seele gesprochen wird, wo ist dann der Geist angesiedelt? Das viel zitierte Wort Heiliger Schrift aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 26, Vers 41, kommt hier zum Tragen: (41) Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, das Fleisch aber ist schwach.[256] Der Geist kann wie die Seele emotional berührt werden, Geist und Seele sind immateriell und darum unbegrenzt, der Leib dagegen ist materiell und begrenzt.

In den unterschiedlichen Auffassungen hatte sich das Hauptgewicht auf zwei Themen und Standpunkte verlagert: Die Dreieinigkeit in Zusammenhang mit der Adoptionslehre  und die Aussage in dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper, Kapitel 2, Vers 7, wo es um den Begriff der „Entäußerung“ geht, von den Anhängern der Lehre von der Adoption als „Selbstentleerung“ verstanden. Zur Bekräftigung ihrer Aussagen werden von Alkuin und den fränkischen Bischöfen zahlreiche Zitate der Kirchenväter und der Päpste Leo I. (Papst 440-461) und Gregor I. (Papst 590-604), der auch in der orthodoxen Kirche großes Ansehen genießt angeführt. Karl selbst griff ebenfalls sehr entschieden ein, besorgt über Einheit von katholischer Kirche und den Staat, den er zu formen gedachte. Das Hauptargument gegen die Bezeichnung Christi als servus (Knecht, Sklave, Diener) liegt bei Alkuin und dem fränkischen Episkopat wie vordem schon bei Hadrian in der Belastung, die diese Bezeichnung für die Soteriologie (Lehre von der Erlösung) mit sich brachte, hervorgehoben durch ein Zitat: „Christus aber hat nicht gesündigt, deshalb ist er nicht ein Sklave der Sünde, sondern vielmehr ein Befreier und Erlöser derer, die Sklaven der Sünde sind….Nach dieser Erörterung über den Titel servus lenken die Bischöfe des Frankenlandes auf den Hauptgegenstand des Streites: Die Bezeichnung adoptivus (Adoption) für die menschliche Natur Jesu Christi: „Du aber, wer bist du, der du predigst, dass Christus adoptiert sei, woher dir diese Meinung gekommen wäre, hätte ich wissen wollen, wo hättest du diesen kennenlernen sollen, zeige. Die Patriarchen haben (ihn) nicht gekannt, Die Propheten haben (ihn) nicht erwähnt, die Apostel haben (ihn) nicht gepredigt, die heiligen Ausleger haben diesen Namen verschwiegen, die Gelehrten unseres Glaubens haben (ihn) nicht gelehrt….Du sagst nämlich: ‘Warum fürchtest du, den HERRN Christus adoptiert zu nennen?‘ Ich sage dir, weil weder die Apostel ihn so genannt haben, noch hat die heilige allgemeine Kirche die Sitte gehabt, ihn so zu nennen, stets auch nicht zu glauben,

[255] revidierte Übersetzung nach Luther. Stuttgart 1984

[256] Übersetzung nach Hermann Menge (ev)

                                                                                                 90                                                                                                 

dass er adoptiert sei, sondern er ist der eigene Sohn, gemäß den vorangegangenen Zeugnissen der Apostel und Lehren der heiligen Lehrer.(Zitat)[257]

Gegen Ende ihres Schreibens führt der fränkische Episkopat dann den Vorwurf des Nestorianismus ins Feld, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Spanier in ihrem Schreiben zwar zahlreiche Häretiker vergangenen Jahrhunderte verdammt hätten, der bedeutende Nestorius aber nicht darunter zu finden sei, was als zusätzlicher Beleg für den Vorwurf des Nestorianismus gewertet wird. Aufs engste damit verbunden ist die Anschuldigung gegen die Spanier, zwei Söhne Gottes, einen adoptierten und einen eigenen zu lehren. Bei dem Vorwurf des Nestorianismus lassen es die fränkischen Bischöfe es allerdings nicht bewenden, indem sie den spanischen Adoptianern auch arianisches Gedankengut unterstellen: „Wie nämlich es niemals war, dass Gott der Vater, ohne Gott, den Sohn, gewesen ist…so war es niemals, dass der Mensch Jesus ohne Gott gewesen ist…Wie nämlich Arius den Sohn vom Vater getrennt hat, indem er sprach: Es war (eine Zeit), in welcher er nicht Sohn Gottes war, so trennt ihr durch die Adoption den Menschen Christus vom Sohn Gottes.[258] (Zitat)

Nach diesen Ausführungen ermahnen die fränkischen Bischöfe ihre spanischen Amtsbrüder weiterhin: „Erkennt, dass in (diesem) eurem Bekenntnis eine zweifache Täuschung des teuflischen Betruges hervorgebracht ist, das ist, dass er euch, die ihr durch die Gnade der Taufe erlöst worden seid, von der Einheit der katholischen Kirche trennt und mit dem Strick des schismatischen Irrtums vom Weg des ewigen Heils abhält und vor den Heiden unter denen ihr lebt, die Anfangsgründe des christlichen Glaubens versperrt, und während ihr unseren HERRN Jesus Christus, wir als Gott verehren und anbeten, sowohl als Knecht als auch als adoptiert predigt…Bedenkt, wie groß dieser Skandal unter den heidnischen Völkern ist, dass gesagt wird, der Gott der Christen sei ein Knecht oder adoptiert. Wir sind durch jenen adoptiert worden, nicht ist jener mit uns adoptiert worden, wir sind durch jenen von der Knechtschaft befreit worden, nicht (ist) jener mit uns ein Knecht.[259]

Alkuin und der fränkische Summenepiskopat sehen in der adoptionistischen Häresie eine doppelte Gefahr: Zum einen bedeutet sie die Trennung von der einen katholischen Kirche und damit verbunden der Verlust des persönlichen Heils, zum anderen ist sie nach fränkischer Auffassung ein Hinderungsgrund für die moslemischen Besatzer auf der iberischen Halbinsel, den christlichen Glauben anzunehmen, stellt doch die Bezeichnung des christlichen Gottes als Knecht nach ihrer Ansicht eine unzumutbare Erniedrigung Gottes dar, und muss somit für die Moslems als unüberbrückbares Hindernis erscheinen. Dieser Argumentationslinie folgend, hebt das fränkische Episkopat Jesus Christus noch einmal als Sohn Gottes  in seiner Göttlichkeit hervor: „Wir wollen verkündigen, dass dieser wahrer und lebendiger und wirklich Sohn Gottes ist, damit wir (es) erwerben, zu einer glückseligen Schau zu gelangen, in welcher

[257] Nagel, Helmut: Karl der Große und die theologischen Herausforderungen seiner Zeit. S. 93 f

[258] ebd. S. 95

[259] zitiert ebd. S. 96

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die ewige Glückseligkeit und die gesegnete Ewigkeit (ist), dem Lob und Preis in alle Ewigkeiten (sind). Amen.“[260] Diese Widerlegungen von Seiten der oberitalienischen und fränkischen Bischöfe waren begleitet von einem direkten Eingriff Karls des Großen in die gegensätzlichen Auffassungen, der mit dem Gewicht seiner Herrscherpersönlichkeit zusätzlich die Bedeutung der aufgeworfenen Fragen unterstrich. Sein von den Hoftheologen, angeführt von Alkuin, formulierter Appell verfolgte zwei Ziele: Die Bewahrung der kirchlichen und damit auch der staatlichen Einheit und die Rückführung der abgewichenen Spanier durch eine groß angelegte Überzeugungsarbeit  in die dogmatische und organisatorische Einheit der Kirche. In einem Lehrschreiben hatte Papst Hadrian 793/94 seine Bereitschaft zu erkennen gegeben, über die Abtrünnigen in Spanien, den Kirchenbann auszusprechen.[261] Die apostolische und patristische Lehrtradition sind für Karl und seine Berater die absolute Richtschnur, an der aller Glaube und alles Denken ausgerichtet werden muss; wenn die Spanier von dieser grundlegenden Norm abgewichen sind und darin beharren, so ist damit die grenzüberschreitende Gemeinschaft aufgehoben. Der Weg zu einer künftigen Zusammenarbeit wird aber unter den genannten Voraussetzungen offen gehalten.[262]  In diesem Zusammenhang erwähnt das Schreiben Karls des Großen, dass er Mitgefühl für die politische Unfreiheit der spanischen Christen empfinde, den schismatischen Irrtum, der von den Bischöfen in Spanien ausgehe, aber nicht billigen könne, und ihm Sorgen bereite.[263] Ein unmittelbarer Eingriff innerhalb der moslemisch beherrschten Gebiete stieß aber auf  Hindernisse. Die Drohung mit der Exkommunikation, die Papst Hadrian zuvor ausgesprochen hatte, konnte nicht die gleiche Wirkung erzielen, wie im Herrschaftsbereich selbst, weil die Zugriffsmöglichkeiten durch die politischen Machtverhältnisse in Spanien begrenzt waren.[264]

Die spanischen Bischöfe hatten an König Karl eine Anfrage gerichtet. In der freundlich gehaltenen Antwort wird die universale Bedeutung von Einheit und Lehre dargelegt: „Daher ist eure Besserung (correctio) unsere Freude, wenn ihr danach verlangt, Bundesgenossen im Glauben zu haben und Mitarbeiter in der Verkündigung der Wahrheit, so dass die Freude, die Christus seinen Jüngern verheißen hat, in euch wohne, und unsere Freude in euch vollständig sei.“ Im Evangelium nach Johannes, Kapitel 15, Vers 11 heißt es dazu; (11) Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.[265]  „Zur Vollendung dieser Freude haben wir in der nötigen brüderlichen Liebe befohlen, dass eine synodale Versammlung der heiligen Väter aus allen Kirchen unseres Herrschaftsgebietes von überall her zusammenkomme, damit die heilige Einmütigkeit aller kräftig beschließe, was man über die Adoption des Fleisches Christi glauben müsse, die, wie wir kürzlich erfahren haben, ihr mit euren Behauptungen und in der heiligen allgemeinen Kirche Gottes aus früheren Zeiten nie Gehörtem in euren Schriften vorbringt.[266]

Mit diesen Worten bestätigt Karl, dass der spanische Adoptionismus Gegenstand auf dem Frankfurter Konzil von 794 war, und dass Karl bereits im Vorwege zur Frankfurter Synode mit Hadrian Kontakt aufgenommen hatte, zeigte sich durch die Romreise, zu der Bischof Felix von Urgel auf dem Konzil von Regensburg 792 veranlasst wurde. Es war zu

[260] Nagel, Helmut: Karl der Große und die theologischen Herausfroderungen der Zeit mit Zitat. S. 96 f

[261] ebd. S. 98

[262] ebd. S. 100

[263] ebd. S. 101

[264] ebd. S. 98

[265] revidierte Lutherübersetzung 1984. Stuttgart 2007

[266] Nagel, Helmut: zitiert auf S. 101

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einer ausgeweiteten Korrespondenz zwischen dem fränkischen Hof und Rom gekommen, die ausgelöst wurde durch die Befürchtung vor einer weiteren Ausbreitung der Lehren, wie sie vom spanischen Episkopat ausgegangen waren und in der Notwendigkeit einer Gefahrenabwehr gesehen wurde, die ihre Grundlage in der von Bonifatius im römischen Sinne durchgeführten Reform der fränkischen Kirche mit dem Primat des päpstlichen Lehramtes.[267]

Zunächst ruft Karl die Spanier zur Einmütigkeit mit der traditionellen Lehre der römisch-fränkischen Kirche auf, wobei er in der Adoptionsfrage den Versuch erkennt, die Kirche mit einer neuen anders gearteten Christologie zu durchdringen, was nicht mit der Überlieferung durch die Kirchenväter in Einklang gebracht werden konnte.  Karl und die Theologen des fränkischen Hofes vertraten eine auf namhafte Kirchenväter, insbesondere Augustin, zurückgehende Lehrtradition, die beherrschend war für das gesamte Frühmittelalter. Karl greift auch das Schreiben auf, in dem die spanischen  Bischöfe Karl davor warnen, die Wege Kaiser Konstantins zu beschreiten. Der Frankenkönig weist den negativen Konstantinvergleich zurück. Die Bewertung Konstantins durch die Spanier, die seit den Tagen Isidors von Sevilla zweideutige Züge aufzuweisen hatte, die zumindest keine Verteidigung der von Kaiser Konstantin vertretenen Kirchenpolitik aufzuweisen hatte, die sich zeitweise  schwankend gestaltete. Karl war einem positiven Vergleich mit der letzten machtvollen Herrscherpersönlichkeit der Römischen Geschichte nicht abgeneigt. Er hatte die in einem Brief Hadrians aus dem Jahre 778, in der die Bezeichnung Novus Constantinus (Neuer Konstantin) zu finden war, nicht ausdrücklich zurückgewiesen.  Die sinnfällig gewordene Erneuerung des Römischen Reiches nach der Kaiserkrönung im Jahre 800 hatte aber nicht ausschließlich Kaiser Konstantin zum Vorbild. Auf dem Frankfurter Konzil waren die anwesenden Bischöfe bemüht, die Schriften der Spanier angemessen zu beurteilen, und Karl dabei auch mit Zustimmung der anwesenden Spanier als Autorität und Schiedsrichter anerkannt wurde. In einem Schreiben bekräftigt Karl seine Entschlossenheit, gegen alle vorzugehen, die irgendetwas dem rechtmäßigen Glauben Widersprechendes lehren, nachdem die Spanier ihm Beatus von Liebena, der ihm völlig unbekannt war, als Verführer vorgestellt hatten.[268]

Nach Karls Auffassung und des ihn umgebenden Hofkreises war die politische Emanzipation der hispanisch-westgotischen Christen von der moslemischen Herrschaft eine unabdingbare Voraussetzung, um in dem gegebenen politischen und kirchlichen Umfeld Teil der katholischen Kirche zu sein. Sie war aus fränkischer Sicht die unverzichtbare Heilsvermittlerin auch für das diesseitige Heil für den einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Dieses Deutungsschema, das keine Veränderungen duldete, bestimmte das Denken und lässt eindrucksvoll erkennen, welche ungewöhnliche Bedeutung theologische Fragen für das Reich Karls des Großen hatten, gerade auch im Alltagsleben der Menschen. Das Schreiben Karls konnte eher als Mahnung, nicht als Drohung verstanden werden: „…Ihr habt uns, mit Hilfe der göttlichen Gnade, zu Mitarbeitern eurer Freude, wenn ihr mit uns Prediger des katholischen Glaubens sein wollt. Unzweifelhaft wird daher dort die Hilfe des göttlichen Mitgefühls sein, wo die Nächstenliebe der ganzen Kirche eins und das Bekenntnis des wahren Glaubens eins ist. Kehrt zur Menge des Volkes Christi und zur Einmütigkeit der bischöflichen Versammlung zurück.“[269]  Die Verurteilung der Lehre des Elipandus von Toledo und des Felix von Urgel auf dem Frankfurter Konzil war reichsrechtlich bindend und bildeten einen Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit der

[267] Nadel, Helmut: Karl der Große und die theologischen Herausforderungen der Zeit. S. 101 f

[268] ebd. S. 104 f

[269] ebd. mit Zitat

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Christologie der Adoption, wie sie von den spanischen Bischöfen vertreten und verbreitet wurde. Der Anstoß zu den weitreichenden räumlich und zeitlich ausgedehnten und vorgetragenen Gegensätzen, die ihren Höhepunkt auf dem Frankfurter Konzil 794 erreichten in Umfang und Besetzung der Beteiligten. Die Initiative war von Karl ausgegangen, sein Einfluss zu der Zeit, besonders im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts, war stets gegenwärtig; er ließ nichts unbeobachtet, wenn auch die eigentlichen schriftlich und mündlich vorgetragenen theologischen Debatten von der zuständigen Gelehrsamkeit wahrgenommen wurden, bis 799 auf dem Konzil in Aachen die endliche und letzte Entscheidung fiel.[270]  

Im April 796 hatte sich Alkuin wegen politischer Unruhen in seiner Heimat in York in Britannien entschlossen auf eine Rückkehr zu verzichten. In dankbarer Erinnerung für geleistete Dienste verlieh  Karl dem siebzigjährigen die Abtei St. Martin in Tour, dem geschichtsträchtigen Ort, die zu den größten im Frankenreich gehörte. In der Bibliothek von St. Martin befand sich die lateinische Übersetzung der Akten des Konzils von Ephesus 431. Der Fund als Quellenmaterial bildete den Auftakt erneut in eine groß angelegte Argumentation zum  immer noch laufenden Streit um die Christologie der Spanier. Im Frühjahr 797 eröffnete Alkuin erneut den theologischen Disput in einem Schreiben an Felix von Urgel,[271] der nach dem Konzil von Regensburg nicht ganz freiwillig zu Papst Hadrian gereist war, um zu widerrufen. Nachdem Widerruf wurde er nicht in die Freiheit entlassen, sondern festgesetzt. Es gelang ihm aber die Flucht und über Gerona und Septimanien im äußersten Nordosten Spaniens und Südwesten des Frankenreiches, Gebiete, die in einem Eroberungsfeldzug von den Sarazenen eingenommen worden waren, gelangte er wieder nach Urgel, wo er sein Amt als Bischof wieder einnahm, was die fränkische Seite offensichtlich nicht verhindern konnte, dennoch bezeichnete ihn Alkuin in einem Schreiben, das freundlich gehalten war als Bischof, und forderte ihn auf „…ins Lager des himmlischen Königs…“ zurückzukehren. Felix hatte trotz seines Widerrufs die Lehre von der Adoption erneut verbreitet, was Alkuin zu der Feststellung veranlasst, dass der Name Adoption weder im Alten noch Neuen Testament zu finden sei, und führt dazu aus: „Die ganze evangelische Vollmacht ruft, alle Schriften der Apostel bezeugen, die große Mehrheit auf der Welt glaubt, die römische Kirche predigt, dass Jesus Christus der wahre und eigene Sohn Gottes ist. Warum wollt ihr ihn den Namen eines adoptierten beilegen? Was ist ein adoptierter Sohn anderes, außer ein falscher Sohn?…“[272]  Diese Position ist Alkuin mancher Orts als Monophysitismus ausgelegt worden.[273]  Auf diesem Wege bei den Spaniern ein Verständnis hervorzurufen, erscheint unmöglich. Alkuin ist unentwegt bemüht, Felix für orthodoxe Ansicht zurückzugewinnen. Entsprechend lässt er sich vernehmen: Ermahne deinen Bruder, den ehrwürdigen Bischof Elipandus…, dass er mit dir und mit der unzähligen Menge der Heiligen zum Tor der ewigen Stadt emporsteigt. Richtet die Herde Christi, die ihr empfangen habt, um sie zu weiden, nicht zugrunde, sondern rettet (sie)…“[274] Demnach sieht Alkuin in der adoptionistischen Lehre eine Krankheit, die in der Lage ist, das ganze Gemeinwesen des Frankenreichs zu befallen und zu zerstören, analog den Ausführungen Karls in seiner Ansprache vor dem Frankfurter Konzil und hebt damit hervor, wie sehr die adpotionistische Lehre für die politisch-religiöse Spitze des Frankenreiches darstellte, welche dem großen Reformprogramm, das Karl in Angriff genommen hatte und zu vollenden gedachte

[270] Nagel, Helmut: S. 111

[271] ebd. S. 113

[272] ebd. mit Zitat S. 114

[273] ebd. S. 115

[274] ebd. mit Zitat S. 115

 

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entgegenstand. Alkuin sah in der Anführung der patristischen Zeugen das geeignete theologische Mittel, der Gefahr entgegenzutreten und sie zu überwinden.[275]

Einige Monate nach seinem Brief an Felix von Urgel wandte sich Alkuin im April/Mai 798 in einem Schreiben an Elipandus von Toledo. Im Verlauf seines Briefes lobt er das fromme Leben des Elipandus und warnt ihn gleichzeitig vor den Lehren des Felix, dessen frommen Lebenswandel er dennoch betont. Er vermisst einen überzeugenden Hinweis mit Begründung zur Adoptionslehre, stellt dabei die Besonderheit der Geburt und Erwählung Christi in den Vordergrund und schreibt: „…sondern sogleich in der Empfängnis selbst und in der Geburt ist Christus als wahrer Gott und eigener Sohn Gottes geboren, nicht als adoptierter Sohn und auch nicht  als sogenannter Gott. Ohne jeden Zweifel muss man kräftig glauben und predigen, dass derselbe, der aus einer Jungfrau geboren wurde, wahrer Gott in zwei Naturen und wahrer Sohn Gottes ist; so, dass er ein einziger Christus und ein einziger Gott und ein einziger Sohn Gottes und ein einziger König und ein einziger Erlöser der ganzen Welt ist, aufgrund der Gottheit mit dem Vater wesensgleich, aufgrund der Menschheit mit der Mutter wesensgleich, dass derselbe wahrer Gott und wahrer Mensch in der Einheit der Person ist.[276]

Felix unternahm es, Alkuin von seiner Sicht zu überzeugen: „Warum lehnst du diesen Namen (Adoption) ab? Was kann es Herrlicheres geben, was Ehrenvolleres oder was Heiligeres der menschlichen Natur von Gott verliehen werden als dieses Geschenk, durch welches man erkennt, dass dieselbe Natur des Menschen von Gott nach dem Sündenfall wieder angenommen wurde?[277] Alkuin ist dem Gedanken nicht abgeneigt, indem wir durch die Bezeichnung adoptivus filius, (adoptierter Sohn) aber auch nur dann, wenn wir im wahren Sohn Gottes adoptiert sind. Für Christus hingegen bedeute dieser Titel eine Minderung, da die größere Ehre darin bestehe, wahrer Sohn Gottes zu sein.[278] Diese Aussage findet eine Erklärung im Brief des Apostels Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom Kapitel 8, Verse 14-17: (14) Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. (15) Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba lieber Vater! (16) Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. (17) Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm Leiden, damit wir mit zur Herrlichkeit erhoben werden.[279] In der Heiligen Schrift ist oft von Kindern Gottes die Rede, so schon im hebräischen Kanon, wenn von den Kindern Israels gesprochen wird. Die Worte Adoption oder adoptiert sind in der Heiligen Schrift von der ersten bis zur letzten Seite nicht zu finden. Wenn diese Worte benutzt werden, kommt es darauf an in welchem Sinne sie benutzt werden, das wollte Alkuin deutlich zu erkennen geben. Auf fränkisch-päpstlicher Seite wurde die Gewähr des eigenen Heiles nur im Deus-Christus (Gott-Christus) gesehen, also Christus als Gott in Gott, was Karl in seinem Brief an Elipandus und die spanischen Bischöfe unterstreicht unter Berufung auf Augustin, allerdings auf einer athanasianischen-kyrillischen Linie liegend.[280] Das war auch ein Rückgriff auf Kyrill von Alexandria (378-444), der entschieden dem Nestorius und seiner Lehre entgegengetreten war, in der er eine Verletzung

[275] Nagel. Helmut: S. 118

[276] ebd. mit Zitat S. 121 f

[277] ebd. mit Zitat S. 124

[278] ebd. S. 125

[279] revidierte Übersetzung nach Luther 1984

[280] Nagel, Helmut: S. 125

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der Dreieinigkeit Gottes sah. Auf dem Konzil von Ephesus 431 setzte sich Kyrill mit der Lehre von der Gottesmutterschaft Marias durch. Wenige Jahre später fand das Konzil von Chalcedon statt, auf dem sich Patriarchat von Alexandrien endgültig von der Reichskirche lossagte und zur koptischen Kirche wurde.

Wie sehr gerade die Verknüpfung von Christologie und Soteriologie im Mittelpunkt der theologischen Disputation stand, lässt die Argumentation des Felix erkennen: „Denn wenn unser Erlöser selbst in seinem Fleisch, das er aus dem Leib der Jungfrau, nämlich bei der Empfängnis, angenommen hat, beim Vater nicht adoptierter, sondern wahrer und eigener Sohn ist, was bleibt übrig, außer dass sein Fleisch von derselben Masse des menschlichen Wesens und nicht vom Fleisch der Mutter geschaffen und gemacht wurde, sondern von der Substanz des Vaters, wie auch von seiner Göttlichkeit entsprungen ist. Die logische Argumentation hat die Annahme zum Hintergrund, dass ohne die Vorstellung der Adoption der menschlichen Natur Christi „…die wahre Menschlichkeit Jesu die Gleichheit Jesu mit dem Menschen…verloren geht.“

Felix untermauert diese Argumentation, in welcher der inkarnierte (Fleisch gewordene) Christus als das Urbild der Erlösung erscheint: „Denn in der ersten Geburt, in der wir fleischlich geboren werden, kann keiner Mensch sein, der seinen Ursprung von woanders her als von dem ersten Adam, der aus der jungfräulichen Erde geschaffen wurde, herleiten könnte. Ebenso vermag niemand  in der zweiten geistlichen Geburt, in der wir mit Wasser und dem Heiligen Geist wiedergeboren werden, die Gnade der geistlichen Geburt zu erlangen, es sei denn, er empfange diese beiden Geburten in Christus, dem zweiten Adam, der aus dem Fleisch einer Jungfrau geschaffen und geboren ist. Die erste Geburt ist nämlich fleischlich, die zweite geistlich und geschieht durch Adoption.

Diesen Standpunkt verschärft Felix und fügt hinzu: „Wenn aber irgendeiner, sagst du, diese geistliche Geburt, die durch Adoption geschieht, von Christus gemäß der Menschheit verwerfen will, so ist es vorher nötig, dass er jene, welche gemäß dem Fleisch ist, gänzlich von ihm trennt. Wenn nämlich in dieser da, welche geistlich ist, er sich mit uns nicht verständigt, ohne Zweifel auch nicht mit jener, welche fleischlich ist.  

Felix sieht demnach in der fränkischen Christologie  die Gefahr des Doketismus.[281]

Doketismus und die im Gegensatz dazu stehende Begriffswelt der Kenosis bedürfen in ihren Zusammenhängen der genaueren Erläuterung, um das Vorhergehende besser zu erfassen. Der Doketismus beinhaltet eine Christologie, in der Jesus Christus seinen Leib nur zum Schein angenommen hat, er also mit dem eigentlichen Menschsein nicht in Berührung gebracht werden kann, somit ist er einseitig nur Gott. Für die Doketisten galt die Materie als unrein und für Jesus somit unannehmbar. Der Lehre von der Kenosis steht dem entgegen, sie ist das genaue Gegenteil. In ihr wird über Jesus Christus ausgesagt, er habe bei der Menschwerdung auf seine Herkunft, die ihn Gott gleichstellte, „verzichtet“. Im Protestantismus hat es dazu eine Diskussion gegeben, die zu unterschiedlichen Auffassungen führte, von denen hier vier genannt werden sollen: So wurde die Ansicht vertreten Jesus habe bei seiner Menschwerdung ganz auf seine göttlichen Eigenschaften „verzichtet“ (Martin Chemnitz). Einer anderen Sicht zufolge war er zwar im Besitz der  Eigenschaften, die ihn Gott gleichgestellt haben, machte aber keinen

[281] Nagel, Helmut: S.126

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Gebrauch davon (Johannes Brenz). Besonders im 19. Jahrhundert bildete sich im protestantischen Raum eine Schule von Kenotikern heraus, in der unterschieden wurde zwischen weltbezogenen Wesenszügen Gottes wie Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit und den immanenten Wesenszügen, die Jesus nicht ablegen konnte, wie Macht, Wahrheit und  Heiligkeit  (Gottfried Thomasius). Dazu ist eine Theologie vertreten worden, die unterscheidet zwischen mitteilbaren und unmitteilbaren Eigenschaften, das hieße der Mensch könne zwar die Eigenschaften der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit, der Wahrheit und Heiligkeit als die mitteilbaren besitzen, nicht aber die unmitteilbaren der Allmacht, der Allwissenheit und der Allgegenwart.

Die katholische Kirche hat die Lehre der protestantischen Kenotiker mit Schärfe verurteilt.  Papst Pius XII. erklärte in der Enzyklika Sempiternus Rex Christus 1951: Völlig unvereinbar mit dem Glaubensbekenntnis von Chalcedon ist auch eine unter Nichtkatholiken ziemlich weit verbreitete Ansicht, der eine leichtfertige und falsch ausgelegte Stelle aus dem Philipperbrief des heiligen Paulus (Phil 2, 7) eine Handhabe und einen Schein von Autorität bot-die Lehre von der sogenannten ‚Kenose‘-, nach der man in Christus eine ‚Entäußerung‘ der Gottheit des Wortes annimmt. Diese wahrhaft gotteslästerliche Erdichtung ist, ebenso wie der Irrtum des Doketismus, zu verwerfen, da sie das ganze Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung zu einem blutlosen nichtigen Schatten entwertet. „In der unversehrten und vollkommenen Natur eines wahren Menschen“, so lehrt eindrucksvoll Leo der Große, „wurde der wahre Gott geboren, vollständig seiner Eigenart nach, vollständig der unseren nach.“ (zitiert in Wikipedia)

Es ist ersichtlich, wie die Gegensätze sich über die Jahrhunderte von Anbeginn der Gemeinde und Kirche über die Zeit Karls des Großen, die sich mit ihrem Ausgang prägend gestalten sollte, bis in die Gegenwart hingezogen haben. Im Mittelpunkt der Betrachtung theologischer und christologischer Abhandlung ist immer und erneut die Passage aus dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper entgegengesetzt worden, besonders Vers 5 - 7 aus dem 2. Kapitel, worauf bereits weiter oben Bezug genommen worden ist: (5) Seid auf das in euch bedacht, was auch in Christus Jesus war. (6) Da er in Gottes Gestalt war, glaubte er nicht, das Gleichsein mit Gott selbstsüchtig festhalten zu müssen, (7) sondern er entäußerte sich selbst dadurch, dass er Knechtsgestalt annahm, dem Menschen ähnlich und in seinem Äußern wie ein Mensch gefunden wurde.[282]  

Die Adoptionisten in ihrem Gegensatz zu Karl und Alkuin, hatten „Selbstentäußerung“ als „Selbstentleerung“ interpretiert, was aufgefasst wurde, als wäre Gott aus ihm entwichen. Jesus Christus ist im Fleisch auf diese Erde unter die Menschen gekommen, und unterschied sich äußerlich nicht von ihnen. Aber das Fleisch in dem er gekommen war, unterscheidet sich von dem Fleisch der Menschen unter denen er sich bewegte. (s. o. Seite 83 f) Eine Erklärung findet sich dazu im 2. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth Vers 21: (21) Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.[283] Es gibt keinen zweiten Menschen, von allen die je diese Erde betreten haben, die das von sich sagen können. Und vollends heißt es dazu im christlichen Kanon der Heiligen Schrift im Brief an die Hebräer in Kapitel 4, Vers 15-16: (15) Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. (16) Darum lasset uns

[282] Übersetzung nach Kürzinger (kath)

[283] revidierte Übersetzung 1984 nach Luther

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hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.[284] Diese Worte Gottes führen den Menschen nicht nur ins Zentrum und in die Zielsetzung der Heilsgeschichte, diese Worte besitzen auch eine gesellschaftspolitische Sprengkraft, denn Jesus Christus hätte sich auch anders äußern und anders handeln können, welcher Mensch wäre schon bereit aus seiner gesellschaftlichen Position heraus, eine solche Haltung einzunehmen. Jesus hätte ebenso gut sagen können: Ich bin zwar in eurem Fleisch und eurer Gestalt zu euch gekommen, nur ist mein Fleisch besser als das eure, und meine Gestalt darum anders geartet, darum stehe ich über euch. Genau das hat er nicht getan, sondern er hat sich mit den sündigen Menschen und der gefallenen Schöpfung gemein gemacht, um so den Weg zur Erlösung zu öffnen, darum ist eine Theologie falsch und irreführend, die besagt, Gott habe nicht gelitten, er leidet in seinem Sohn in allem was Menschen auf ihren Irrwegen begegnet. Voraussetzung, um dieser angebotenen und erwirkten Erlösung teilhaftig zu werden, ist der Glaube daran. Es wäre daher angebracht, das Angebot dieser Erlösung nicht zu missachten.

Das Konzil von Frankfurt, das 794 einberufen wurde, brachte eine wichtige Entscheidung in dem weiteren Verlauf des theologischen Streits um das christologische Verständnis. Es war nicht das letzte Zusammentreffen, aber es war besetzt mit den wichtigsten Entscheidungsträgern, von Karl selbst, den ihn am Hofe umgebenen Gelehrten sowie als Vertreter des Papstes Legaten aus Rom.  Welcher Weg führte von Toledo, dem hartnäckigen Zentrum des dogmatischen Widerstandes, nach Frankfurt, wo ein groß angelegtes Konzil den Durchbruch und die Entscheidung schaffen sollte? In Spanien hatten Kirchenväter und Theologen eine eigene Schule begründet, die sich gegenüber Rom eine weitgehende Unabhängigkeit bewahrt hatte, schon bevor Spanien zum größten Teil unter moslemische Herrschaft geriet. Christologie bildete das Zentrum, um das die Argumente ausgetauscht wurden, und das Urteil über die Abtrünnigen aus Spanien fiel deutlich aus: „…gegen die gottlose und ruchlose Häresie des Elipandus, Bischof des toledanischen Sitzes und des Felix von Urgel und ihren Anhängern, die in übler Meinung eine Adoption im Sohn Gottes behaupteten. Dagegen widersprachen alle genannten heiligen Väter und wiesen sie einmütig zurück, und legten fest, dass diese Häresie von Grund auf aus der heiligen Kirche auszurotten sei“.[285] Darauf folgte die eigentliche Aussage zum Adoptionismus: „Durch diesen Sohn Gottes und zugleich Menschensohn, adoptiert der Menschheit nach und keineswegs adoptiert der Gottheit nach, erlöste er die Welt. Zur ekklesiologischen (kirchlichen) Bedeutung wird dazu ausgeführt: Es seien alle Heiligen diesem Sohn Gottes der Gnade nach gleichförmig und mit dem adoptierten ebenfalls Adoptierte und mit Christus „Christusse“. In der Auferstehung werden wir ihm nicht der Gottheit nach ähnlich sein, sondern der Menschheit des Fleisches nach.[286] Eine soteriologische (Soteriologie Lehre von der Erlösung) Sicht tritt hier hervor und erklärt sich so: Heilige (Menschen) können ihm (Christus) gleichförmig sein der Menschheit des Fleisches nach, aber nicht der Gottheit nach, sie sind in ihrem Menschsein mit ihm zusammen adoptiert.[287] Die spanische Seite äußert sich so unter Berufung auf den ersten Brief des Apostels Johannes Kapitel 3, Vers 2: (2) Geliebte, wir sind nun Gottes Kinder; und es ist

[284] revidierte Übersetzung nach Luther

[285] Das Frankfurter Konzil von 794 herausgegeben von Rainer Berndt mit einem Beitrag von Theresia Hainthaler: Von Toledo nach Frankfurt. Dogmengeschichtliche Untersuchungen zur adoptionistischen Kontroverse. Mainz 1997. S. 809 f

[286] ebd. S. 815

[287] ebd. S. 817

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noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es offenbart wird, dass wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.[288] An anderer Stelle im christlichen Kanon der Heiligen Schrift steht dazu im Brief des Apostels Paulus an die Römer in Kapitel 6, Vers 5-6: (5) Sind wir nämlich zusammengewachsen mit der Gestalt seines Todes, werden wir es auch sein mit der seiner Auferstehung. (6) Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt wurde, auf dass der sündige Leib vernichtet werde und wir so nicht mehr der Sünde Knechte seien.[289] Die Aussagen der Heiligen Schrift erlauben keinen Spielraum für Interpretationen, wie sie im Verlaufe der Kirchengeschichte auf mannigfache Weise vorgenommen worden sind und vorgenommen werden.

Die Ablehnung der Adoption, das lässt Elipandus in seinem Grundentwurf erkennen, gefährdet die Lehre von der wahren Menschwerdung durch die Geburt aus Maria.[290] Ein Bekenntnis lautet, worin eine deutliche Abkehr vom Bekenntnis, das 325 in Nicäa ausgesprochen wurde, erkennbar ist: „Wir glauben als Gott den Sohn Gottes, vor aller Zeit ohne Anfang aus dem Vater gezeugt, gleichewig und ihm gleich und wesensgleich nicht der Adoption nach, sondern der Herkunft nach, und nicht der Gnade, sondern der Natur nach, was derselbe Sohn im Evangelium nach Johannes in Kapitel 10, Vers 30 bezeugt: Ich und der Vater sind eins, und das übrige, was über seine Gottheit uns derselbe wahre Gott und wahre Mensch gesagt hat. Für das Heil des Menschengeschlechts aber ging er am Ende der Zeit aus jener innersten und unaussprechlichen Substanz des Vaters hervor und, ohne sich vom Vater zu entfernen, strebte er nach dem Untersten dieser Welt, erschien öffentlich dem Menschengeschlecht, nahm als Unsichtbarer einen sichtbaren Leib an und wurde auf unaussprechliche Weise aus der Jungfrau bei unversehrter Jungfräulichkeit der Mutter geboren. Gemäß der Tradition der Väter bekennen und glauben wir, dass der aus der Frau geborene, dem Gesetz unterstellte nicht der Herkunft nach der Sohn Gottes ist, sondern der Adoption nach, nicht der Natur nach, sondern der Gnade.“[291] Behauptungen, die Anhänger der Adoptionslehre hätten Jesus Christus zweigeteilt, werden schwer zu widerlegen sein. Um ihre Lehre  zu unterstreichen wird als Schriftbeleg auf das Evangelium nach Johannes Kapitel 14, Vers 28 verwiesen: (28) Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, dann würdet ihr euch freuen, dass ich gesagt habe, ich gehe zum Vater; - denn mein Vater ist größer als ich.[292] Nicht wenige haben sich zu allen Zeiten aufgemacht, um den Beweis anzutreten, die Heilige Schrift sei ein Buch der Widersprüche. Das könnte auch geschehen, wenn die zwei Schriftstellen im Johannesevangelium, Kapitel 10, Vers 30 und Kapitel 14, Vers 28 zum Vergleich herangezogen würden. In Joh. 10, 30 werden der Vater und Jesus Christus als Einheit gesehen, und zwar als Wesenseinheit, nicht im Sinne von Meinungs-und Auffassungseinheit. Wenn es trotzdem in Joh. 14, 28 heißt: ...der Vater ist größer als ich, dann spricht Jesus hier als Mensch zu Menschen, aber eben als Mensch, ohne der Versuchung zur Sünde erlegen zu sein (s. o. Seite 85 f), der sich dennoch  mit der Sünde und den Sündern auf eine Stufe stellt aus einer freien Entscheidung heraus. Es stellt sich die Frage, hätte er überhaupt auch anders entscheiden können? Er hätte anders entscheiden können mit allerdings den entsprechenden Konsequenzen. Hätte er sich über die Menschen gestellt, was er ja hätte können, dann wäre der Weg zu Erlösung versperrt gewesen. Welche Konsequenz hätte es gehabt, wenn

[288] revidierte Übersetzung nach Luther Wollerau 2009

[289] Übersetzung nach Kürzinger (kath)

[290] Hainthaler, Theresia: Von Toledo nach Frankfurt. S. 817 f

[291] ebd. S. 818

[292] revidierte Übersetzung nach Luther. Wollerau 2009

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Jesus Christus im Garten von Gethsemane den Gehorsam verweigert hätte (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 26), oder wenn er dem um die Macht kämpfenden Gegenspieler Gottes nachgegeben und niedergefallen wäre zur Anbetung (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 4)? Er stand in der Versuchung, den Leidensweg für sich und der Menschheit zu umgehen.

In seiner letzten schriftlichen Äußerung in einem Brief an Alkuin 798 greift Elipandus zu einem groben beleidigenden Umgangston. Darin lässt er sich vernehmen, der Sohn Gottes sei in seiner Knechtsgestalt geringer als der Vater.[293]  

Es handelt sich aber bei der Sohnschaft um Wesensgleichheit mit Gott dem Vater, das ist Glaubensgut seit Nicäa und wird von Leo dem Großen (400-461), auf den sich Papst Pius XII. in einer entsprechenden Enzyklika beruft (s. o. Seite 96), so formuliert: „Dies ist mein Sohn, nicht adoptiert, sondern der eigene, nicht anderswoher geschaffen, sondern nur gezeugt, nicht von anderer Natur mir vergleichbar geworden, sondern von meiner Wesensart geboren.[294]

Im Mai/Juni 799 berief Karl ein Konzil nach Aachen, um eine endgültige Klärung zur Adoptionsfrage herbeizuführen, die auf dem Frankfurter Konzil 794 einen breiten Raum in den Verhandlungen eingenommen hatte, mit dem Ergebnis war Karl jedoch höchst unzufrieden. Felix von Urgel hatte eine Einladung nach Aachen erhalten, der er nach Zusicherung, er könne offen, ohne Repressalien befürchten zu müssen, seinen theologisch/christologischen Standpunkt vertreten, gefolgt war.[295] Die Orthodoxie mit ihrem beredten Sprecher Alkuin an der Spitze, der mit der politischen Rückendeckung des mächtigsten Herrschers in Westeuropa rechnen konnte, hatte gesiegt und Felix zum Widerruf bewogen. Dieser Widerruf war der Anfang vom Ende des Erfolges, den die Lehre von der Adoption Jesu Christi bis dahin hatte verbuchen können, sie konnte danach keinen Einfluss auf den Gang der dogmatischen Dinge mehr ausüben. Trotz der gegebenen Zusicherung konnte Felix nicht in seine Heimat zurückkehren, er wurde in Lyon in einem Kloster festgesetzt.[296]

Einer ausgedehnten Missionsarbeit im spanischen Grenzbereich südlich der Pyrenäen, geführt von Bischöfen, die Karl eigens dafür ausgewählt hatte, gelang es in eindrucksvoller Weise, das verloren gegangene Gelände zurückzugewinnen. Einige Monate nach dem Aachener Konzil erreichte Alkuin ein Antwortschreiben des Elipandus, das den Vorwurf enthielt, Alkuin sei ein neuer Arius, der den glorreichen König Karl verführt habe, wie einst Arius den Kaiser Konstantin. Bevor das Aachener Konzil stattfand, hatte Elipandus sich 798 an Felix gewandt und ihn zur Standhaftigkeit ermahnt. Er verstarb kurz darauf, und mit dem Widerruf des Felix waren die beiden Hauptakteure ausgeschaltet, die eine entscheidende und treibende Kraft gewesen waren. Selbst im moslemisch besetzten Teil Spaniens war der Lehre von der Adoption der Rückhalt genommen, bis er gänzlich erlosch.[297] Der Aufwand, der getrieben wurde, um der Lehre von der Adoption ein Ende zu bereiten, zeigt, welches Gefahrenpotential für die Einheit und den Bestand des Frankenreiches gesehen wurde.

[293] Hainthaler, Theresia: Von Toledo nach Frankfurt. S. 825

[294] zitiert ebd. S. 830

[295] Nagel, Helmut: S. 131 f

[296] ebd. S. 133 f

[297] ebd. S. 135

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Spanien war durch die moslemische Herrschaft zu einer innerhalb Westeuropas abweichenden historischen und politischen Entwicklung gelangt, die sich nicht nur nachteilig ausgewirkt hat, da die Araber eine weitgehend tolerante Herrschaft ausübten, und sie sich den in der Geschichte des antiken Griechenland herausgebildeten Wissenschaften öffneten im Gegensatz zum übrigen christlichen Europa, so gelangten die verschiedenen Wissenschaften aus der Zeit des Altertums auf dem Wege von Übersetzungen über Spanien nach Europa. An einem Beispiel aus der Mathematik ist das erkennbar. In Granada, Sevilla und Cordoba waren die drei großen moslemischen Schulen angesiedelt. Aus Cordoba gelangte eine Übersetzung des Euklid in den Westen Europas, ebenso eine Kopie des bedeutendsten Werkes arabischer Herkunft, einer Rechenkunst mit der arabischen Bezeichnung „Alchwarizmi“. „Gesprochen hat Algoritmi. Lasst uns Gott verdientes Lob sagen, unserem Anführer und Verteidiger.“ So lauteten die ersten Zeilen eines Manuskripts, das in der Bibliothek der Universität Cambridge aufbewahrt wird. Algoritmus ist ein Wort, das arabische Gelehrte in abgewandelter Form zu unserem Sprachschatz beigesteuert haben, und aus dem arabischen Wort „Aldschebr walmakabala“ zu Deutsch „Wiederkehr und Gegenüberstellung“ ist der mathematische Begriff „Algebra“ hergleitet worden, die als rein arabische mathematische Leistung angesehen werden kann.[298]   

Auf dem Frankfurter Konzil wurde neben dem Streit um die Lehre von der Adoption ein weiteres Thema abgehandelt. Es ging um den Bilderstreit, der seinen Ursprung in Byzanz hatte, und neben theologischen Gesichtspunkten auch politische Brisanz  enthielt. Im achten Jahrhundert zerstörten im oströmischen Reich erbitterte Streitigkeiten über den Gebrauch der Ikonen (Heiligenbilder) den gesellschaftlichen Konsens. In der ersten Phase der Auseinandersetzung zwischen Bilderfreunden und Bildergegnern setzten sich die Kaiser der ikonoklastischen Partei ein Bilderverbot durch. Später vollzog die kaiserliche Politik unter Konstantin IV. und seiner Mutter Irene jedoch eine Wende. Im Konzil von Nicäa 787 ließen sie der Verehrung von Bildern erneut freien Lauf. Der lateinische Westen zeigte zunächst wenig Verständnis für die byzantinischen Auseinandersetzungen um das Kultbild. Durch die fortschreitende Expansion des Frankenreiches entstand eine Rivalität zwischen dem Nachfolgestaat des weströmischen Reiches und Byzanz. In den Jahren um 790 wollte Karl in einem ideologischen Feldzug einen Konflikt begünstigen, dazu bot der Bilderstreit, der auch im Frankenreich nicht verborgen geblieben war, einen gegebenen Anlass. Karl strebte danach ein lateinisches Kaisertum zu errichten, und sah in dem oströmischen Reich ein Hindernis zu diesem Ziel, weil dort  immer noch von einem Alleinanspruch ausgegangen wurde. Der heftig ausgetragene Streit in Ostrom bot die Gelegenheit zur Intervention in die innerpolitischen Machtverhältnisse, die genutzt wurde, ohne Rücksicht auf souveräne Belange zu nehmen. Karls Eingriff in den Bilderstreit richtete sich zunächst gegen die kaiserlichen Bilderverehrer, ohne sich gänzlich auf die Seite der Ikonoklasten zu schlagen. Ein solcher Schritt hätte ihm auch im Westen einiges Ansehen gekostet. Er fand eine Kompromisslösung, die eine einseitige Festlegung vermied. Er lehnte die Verehrung der Bilder ab, ohne sie gleichzeitig zu verbieten. Karls Hoftheologen verfassten ein Dokument „Libri Carolini“, darin argumentierten sie auf theologischer und philosophischer Grundlage, und stützten sich dabei besonders auf Augustin.[299] Die fränkischen Theoretiker dachten die Zeit nicht als ein Stück aus einer unendlichen Dauer. (Zur Zeittheorie s. o. Seite 13, 37 f, 38 f) Das wäre zu oberflächlich gewesen. Sie bestimmten sie vielmehr als eine von Menschen definierte Seite oder Perspektive der Ewigkeit. (Zeit ohne Begrenzung) Die Zeit ist aber nur dann erfahrbar, wenn sie sich in

[298] Karlson, Paul: vom Zauber der Zahlen. Berlin 1954 S. 182

[299] Das Frankfurter Konzil von 794. Jeck, Udo R.: Augustins Zeittheorie in den "Libri Carolini" S. 861 f

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Dimensionen aufspaltet. Diese Eigenschaft besitzt sie jedoch nicht an sich selbst. Wir sind es vielmehr, die sie in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft aufteilen.[300] Die westlichen Intellektuellen benutzten ihre philosophischen Erfahrungen, die sie im Wesentlichen aus den Schriften Augustins entnommen hatten. Dazu gehörte auch seine Zeittheorie. Augustin betonte stets die Präferenz einer geistigen Gotteserkenntnis. Der byzantinische Bilderkult verbleibt nach fränkischer Ansicht im materiellen Bereich.[301] Der Frankenkönig Karl hatte seinen wissenschaftlichen Beratern die Aufgabe gestellt, gegen die Auswüchse des byzantinischen Bilderkultes ein neues Konzept bildlicher Darstellung zu erarbeiten. Zu diesem Zweck benutzten die westlichen Intellektuellen ihre philosophischen Erfahrungen, die im Wesentlichen den Schriften Augustins entnommen hatten.[302] Die Verfasser des Libri Carolini gingen davon aus, das Gott Geist ist. Das hieß, sich von den biblischen Texten leiten zu lassen. Daher ist Gott nicht auf fleischliche Weise zugänglich, sondern allein geistig zugänglich, was den Zugang zur Welt vom Zugang zu Gott unterscheidet. Diese Sicht findet ihren Niederschlag im Evangelium nach Johannes: Kapitel 4, Verse 22-24, wo Jesus Christus am Jakobsbrunnen zu einer Samariterin spricht: (22) Ihr betet an, was ihr nicht kennet; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. (23) Jedoch die Stunde kommt, und sie ist jetzt schon da, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. Der Vater sucht solche Anbeter; (24) denn Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.[303] Als der byzantinische Kaiser Leon III. (680-741) die Bilder entfernen ließ, berief er sich auf das Bilderverbot im hebräischen Kanon der Heiligen Schrift in Exodus (2. Buch Mose) Kapitel 20, Vers 4: (4) Du sollst dir kein Gottesbild machen, noch irgend ein Abbild von dem, was droben im Himmel oder auf der Erde unten oder im Wasser unter dem Erdboden ist.[304 Dem ist eine Aussage aus dem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser in Kapitel 1, Vers 14-17 entgegengehalten worden, wo von Jesus Christus ausgesagt ist: (14) In diesem haben wir die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden; (15) er ist ja das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller (=der ganzen) Schöpfung; (16) denn in ihm (d. h. durch seine Vermittlung) ist alles geschaffen worden, was im Himmel und auf der Erde ist, das Sichtbare wie das Unsichtbare, mögen es Throne oder Herrschaften, Mächte oder Gewalten sein; alles ist durch ihn und für ihn geschaffen worden, (17) und er ist vor allem (= steht über allem), und alles (oder das ganze Weltall) hat in ihm seinen Bestand.[305] Ein führender Bildertheoretiker wie Johannes von Damaskus deutete dagegen den Bau der Bundeslade[306] als Hinweis auf eine Bilderverehrung aus der Frühzeit der jüdischen Geschichte. Eine These, die auch von Karls intellektuellen Beratern aufgegriffen wurde, und sie veranlasste, von einer radikalen Position Abstand zu nehmen, und in Grenzen für eine Achtung  des Bilderverbots eintraten.[307] Die Verehrung der Bilder wurde zugestanden, nicht aber ihre Anbetung.

[300] Jeck, Udo R.: S. 869

[301] ebd. S. 873

[302] end. S. 872 f

[303] Übersetzung nach Rupert Storr (kath)

[304] Übersetzung nach Hamf/Stenzel (kath)

[305] Übersetzung nach Menge (ev)

[306] In der Bundeslade wurden die Gesetzestafeln mit den Gesetzen, die Moses auf dem Berg Sinai empfangen hatte, aufbewahrt. Die Lade führte das Volk Israel mit sich auf seiner Wanderung ins verheißene Land. sie wurde nach dem Bau des Tempels im Allerheigsten aufgestellt.

[307] Jeck, Udo R.: S. 878 f

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Die islamische Religion verbietet konsequent jegliche bildliche Darstellung, kann aber dennoch auf beachtliche Kunstwerke hinweisen wie die Moschee in Cordoba oder die Alhambra in Granada.

Wie weiter oben bereits angemerkt, hatte die Bilderverehrung auch Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen Ostrom und dem Frankenreich. Aber das gegenseitige Misstrauen und die damit verbundene Gegnerschaft hatten noch andere Ursachen als nur den Bilderstreit. Eine weitere Quelle nicht unerheblicher Differenzen, die nicht nur zu einer Belastung der Beziehungen zu Byzanz, sondern auch zu einer Verstimmung mit Rom und dem Papst führten, ist im Streit um das filioque im Nicäno-Konstantinopolitanum, dem erweiterten Bekenntnis von Nicäa zu suchen (s. o. Seite 51-53).

Hier die zwei unterschiedlichen Texte:

Filioque bedeutet „und (aus) dem Sohn“. Konkret handelt es sich um folgende Stelle:

„ […] et in Spiritum Sanctum,

Dominum et vivificantem,
qui ex Patre Filioque procedit […]“

„[…] und [wir glauben] an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht […]“

Im griechischen Urtext, den das Konzil von Nicäa 325 als Dogma festgelegt hatte, heißt es jedoch nur:

„[…] καὶ εἰςI τὸ Πνεῦμα τὸ Ἅγιον,
τὸ κύριον, τὸ ζωοποιόν,
τὸ ἐκ τοῦ Πατρὸς ἐκπορευόμενον […]“

„[…] und an den Heiligen Geist,
den Herrn, den Lebendigmacher,
der aus dem Vater hervorgeht […]“ (zitiert aus Wikipedia)

Der Filioquestreit entzündete sich an den Beschlüssen des zweiten Konzils von Nicäa, das 787 von der byzantinischen Kaiserin Irene einberufen worden war. Es war ein ökumenisches Konzil, da außer den orthodoxen Bischöfen auch Abgesandte der römisch-katholischen Kirche teilnahmen.

Nachdem zur Mitte des 4. Jahrhunderts Athanasius von Alexandrien (gest. 373) im Zusammenhang der trinitarischen Streitigkeiten die Gottheit des Heiligen Geistes nachhaltig unterstrichen und neben die Personen des göttlichen Vaters und Sohnes gestellt hatte, nahm sich die spätantike Theologie verstärkt einer Wesens-und Verhältnisbeschreibung der trinitarischen Personen vor. Bereits in der Theologie um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert deutete sich das unterschiedliche Verständnis über den Ausgang des Heiligen Geistes an, das fortan die westliche und östliche Theologie des Römischen Reiches bestimmen sollte.[308] Die Verhältnisse der drei Personen bedingen sich dabei so sehr, dass nach Augustin der Sohn an seiner eigenen Sendung teilhat.

[308] Nagel, Helmut: S. 205

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Die Trinität wird nach Augustin so zu einem Dreieck, das in seinem Wirken sich nahezu auf einen einzigen Punkt zu reduzieren scheint. Für die Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes bedeutete dies, dass der Heilige Geist die Rollen einer Verbindung der Liebe zwischen Vater und Sohn zukam, und von beiden als aus einem einzigen Prinzip hervorgehend zu denken sei; dabei hielt er jedoch aufgrund des biblischen Zeugnisses einschränkend fest, dass der Heilige Geist prinzipiell vom Vater ausgehe, wodurch das Theologumenon (theologischer Lehrsatz) des doppelten Ausgangs des Heiligen Geistes eine gewisse Korrektur erfuhr, ohne grundsätzlich infrage gestellt zu werden. Damit waren bereits an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert theologisch die Weichen gestellt, die eine Verständigung in der Filioquefrage im 8./9. Jahrhundert, abgesehen von den politischen Herausforderungen, so schwierig machen sollte, waren doch die Differenzen  bezüglich des filioque in den unterschiedlichen trinitarischen Vorstellungen der Christenheit des Westens und des Ostens im alten Römischen Imperium begründet; denn ging es der östlichen Christenheit vornehmlich um die Betonung der unterschiedlichen Prioritäten der göttlichen Personen in der Trinität, so macht die Christenheit im Westen des Römischen Imperiums in erster Linie die gemeinsame göttliche Substanz der trinitarischen Personen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen.[309]

Der Filioquefrage kam nach der Ansicht, die im Libri Carolini formuliert wurde, grundsätzliche Bedeutung zu, denn Karl und seine Hoftheologen wussten um die Stellung, die Papst Hadrian einnahm, der insgeheim die Position der byzantinischen Ostkirche  vertrat. Sie wichen dennoch nicht von ihrem Standpunkt und lehnten entschieden das in Nicäa II verfasste und beschlossene Glaubensbekenntnis mit folgender Begründung ab:

„Denn richtig wird geglaubt und gewöhnlich wird bekannt, dass der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn, nicht aus dem Vater durch den Sohn, hervorgeht, denn er geht nicht durch den Sohn hervor wie die Schöpfung, welche durch selbigen gemacht ist, auch geht er nicht gleichsam später hinsichtlich der Zeit oder geringer hinsichtlich der Kraft oder niedriger von Substanz hervor, sondern es wird geglaubt, dass er aus dem Vater und dem Sohn als gleichewig, als wesensgleich, als gleichbeschaffen, als eines Ruhmes hervortritt und einer Kraft und Göttlichkeit mit Ihnen ist.[310]

Der Streit um das filioque im Nicäno-Konstinopolitanum hatte auch außerpolitische Auswirkungen, die wie alles, was der Herrschaft Karls des Großen folgte, bestimmend waren für die westeuropäische Geschichte. Mit der Erweiterung des Bekenntnisses von Nicäa 325 durch erste Konzil von Konstantinopel 381 hatte sich auch zugleich ein theologischer Streitpunkt eingeschlichen.

Durch einen regen Pilger-und Kaufmannsverkehr zwischen Orient und Okzident zur Zeit Karls des Großen, insbesondere in dem Jahrzehnt von 797-807 sowie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum abbasidischen Kalifat von Bagdad und reicher Benefizien an das Jerusalemer Patriarchat war der fränkische Einfluss angewachsen. Die Besetzung der Geandtschaft des Jerusalemer Patriarchen im Jahre 807 macht daher deutlich, welch großen Einfluss das lateinische Mönchtum, insbesondere die aus dem Frankenreich stammenden Mönche, in Jerusalem besaß. Dies wird ausdrücklich, dass zuvor an den Gesandtschaften in den auch Mönche des griechischen Sabasklosters beteiligt waren. Die große Bedeutung, welche den fränkischen Pilgern zu Beginn des 9. Jahrhunderts beigemessen

[309] Nagel, Helmut: S. 106 f

[310] ebd. zitiert S. 211

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wurde, ist aus dem Tatbestand ersichtlich, dass siebzehn Frauen aus dem Frankenreich als Hüterinnen des Heiligen Grabes zu diesem Zeitpunkt bezeugt werden, was ohne eine starke fränkische Kolonie in Jerusalem undenkbar gewesen wäre. Die starke politische Einflussnahme Karls des Großen auf das Jerusalemer Patriarchat durch einen regen Gesandtschaftsverkehr mit dem Kalifen von Bagdad, Harun al Raschid (763-809), der Karl in Jerusalem breite Ehrenrechte einräumte.[311] Harun ist der arabische Name für Aaron, Moses Bruder und erster Hohepriester Israels. Harun und Karl hatten zwei gemeinsame Gegner, einer davon stammte jeweils aus dem gemeinsamen Lager, Harun das Kaiserreich von Byzanz und Umayyaden-Kalifat mit Hauptsitz in Spanien, von wo aus der Süden des Frankenreiches mehrfach attackiert wurde, das aber zugleich den Machtanspruch Haruns über die gesamte islamische Welt nicht anerkennen wollte, während Karl in eine Gegnerschaft mit Byzanz geriet, nicht nur wegen theologischer Gegensätze, sondern auch wegen Karls Machtanspruch über die westliche Welt, des vormals weströmischen Reiches, auf das auch der Kaiser in Byzanz historisch begründete Rechte geltend machte.

Papst Leo III. erkannte die theologische Bedeutung des Filioquezusatzes und zeigte gegenüber einer fränkischen Mission Verständnis, wie auch bereits sein Vorgänger Hadrian I. im Amt des Papstes. Beide bestritten nicht die theologische Rechtmäßigkeit des filioque, waren aber gleichzeitig nicht bereit zu einer Aufnahme in den Text des Nizäno-Konstantinopolitanum. Damit war dieses Bekenntnis in seiner universalen umfassenden Bedeutung für die christlichen Kirchen und ihrer Einheit geschwächt, ein einziges kleines Wort genügte dazu: filioque (und Sohn), daran hat sich bis in die unmittelbare Gegenwart nichts geändert. Die Päpste Hadrian I. und Leo III. hatten, indem sie das fränkische Ansinnen zurückwiesen, zu einem verstärkten Selbstbewusstsein gefunden.[312] Außenpolitisch bedeutete die päpstliche Parteinahme gegen das filioque im Messsymbol eine empfindliche Schwächung der fränkischen Stellung nicht nur in Jerusalem, sondern im ganzen orientalischen Raum, war doch nun offenkundig, dass der Kaiser zu Aachen und das Papsttum in einer für die frühmittelalterliche Welt  so grundlegenden Frage wie dem Glaubensbekenntnis unterschiedlicher Auffassung waren. Damit hatte das theologische und zugleich auch das politischen Ansehen des orthodoxen Imperators  Karl im östlichen Mittelmeerraum erheblichen Schaden genommen. Dies umso mehr als Karls wichtigster Verhandlungspartner auf moslemischer Seite, Kalif Harun al Raschid, 809 verstorben war, und die Kämpfe der Kalifensöhne um die Herrschaft sich bis 813 erstreckten, die einhergingen mit den ersten großen Christenverfolgungen und Kirchenzerstörungen im nahöstlichen Machtbereich, als der syropalästinensische  Raum unter moslemische Herrschaft gelangte.[313]

Karl ließ in den Libri Carolini eine Linie erkennen, die darauf abzielte, das Ansehen und die Würde der römischen Kirche zu erhöhen, und sich als Diener ihrer Lehrautorität zu erweisen, als Streiter und Beschützer der mater ecclesia (Mutter Kirche). Diese Ausführungen ergeben ein Spannungsfeld zur politischen und theologischen Wirklichkeit, denen sich Karl gegenüber sah, und die Anlass gaben zu einer scharfen Kritik des fränkischen Hofes an den Beschlüssen von Nicäa II und an der Haltung, die Hadrians I., Schreiben an Kaiser Konstatin V und Kaiserin Irene erkennen ließ, worin eine Mitwirkung an diesen Beschlüssen offenbar wurde. Eine Erklärung für dieses Spannungsfeld ist in Herrschaftsauffassung Karls zu suchen, der sich als Beschützer der Kirche nach außen verstand und als Korrektor in Lehrfragen, gemeinsam mit dem Papst, nach innen empfand. Eine tiefgründige Verletzung durch den Hof von Byzanz sah er in dem gegen ihn gerichteten Ausschluss von der Konzilsteilnahme an Nicäa II 787

[311] Nagel, Helmut: S. 217 f

[312] ebd. S. 224 f

[313] ebd. S. 226. 

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Hadrian I. gelang es in einem Beschwichtigungsversuch Karls Argwohn gegen Rom zu entkräften und ihm zu versichern, es bestünde keine Absicht zu einem tiefergreifenden Bündnis zwischen Rom und Byzanz. Diese Zusicherung vertiefte den Groll gegen Ostrom nur noch. Tatsache blieb: Karl sah durch den Ausschluss von Nicäa II die Grundlagen seiner Herrschaft berührt.[314]

Der Filioquestreit von Jerusalem bildet den Abschluss der theologischen Streitigkeiten zur Zeit Karls des Großen. An der fränkischen Haltung änderte auch der päpstliche Widerspruch nichts, zumal die päpstliche Position in der Filioquefrage zwiespältig war. Nur ein gutes Jahrzehnt nach dem Bilderstreit durch das Frankfurter Konzil 794 wurde das filioque im fernen Jerusalem Ursache eines Streits zwischen den lateinischen Mönchen des Ölbergklosters und den griechischen des St. Sabasklosters. Gerade gegen diesen verstärkten religiös-politischen Einfluss Karls des Großen im Jerusalemer Patriarchat wandten sich die griechischen St. Sabasmönche mit dem Vorwurf, alle Franken (also auch Kaiser Karl) seinen Häretiker, da sie das Nizäno-Konstantinopolitanum um das filioque erweitert hätten. Karl der Große räumte daraufhin der Filioquefrage höchste Priorität ein und berief 809 eigens eine Synode nach Aachen, um anhand dreier theologischer Gutachten die fränkische Position für orthodox (rechtgläubig) erklären zu lassen. Doch wie stets in Fragen der Lehre suchte der fränkische König und Kaiser auch jetzt die Eintracht mit Rom. So schickte er drei Gesandte zum Papst, die diesen in der Filioquefrage überzeugen sollten Doch trat diesmal im Gegensatz zum Bilderstreit der dogmatische Riss zwischen Rom und Aachen offen ins Licht. Zwar bekannte sich der Papst zum theologischen Lehrsatz des filioque, die Einfügung in das Nizäno-Konstantinopolitanum lehnte er jedoch ab, damit war das innere theologische Gefüge der universal gedachten Kirche beschädigt. Erstmals standen  regnum (weltliche Herrschaft) und sacerdotium (geistliche Herrschaft) in Gegensatz zueinander.[315]

Die Herrschaftsauffassung Karls des Großen ist in der Einheit von politischem  und geistlichem Staatsaufbau zu suchen, worin auch das Eingreifen Karls in die theologischen Auseinandersetzungen der Zeit seinen Ausdruck findet. Am Ende setzte sich Rom zu diesem Bestreben in einen Gegensatz und verfocht die Unabhängigkeit von politischer als weltlicher Herrschaft verstandener staatlicher Macht. Es war der Anfang eines Machtkampfes, der  für die nachfolgende westeuropäische Geschichte eine prägende Auswirkung erhalten sollte, die schließlich hinführte zu einem Niedergang für beide Bereiche und Institutionen.[316]

Die theologischen Streitfragen, die zur Zeit Karls des Großen die christliche Welt bewegt haben, endeten mit der Aporie (Schwierigkeit) im Denken das Geheimnis der Dreieinigkeit zu ergründen, und vernunftgemäß und damit auch begreiflich, verständlich zu erklären (s. o. Seite 5). Diesen Zugang über die Philosophie zu ergründen, das bedeutet sie vernünftig eingängig zu machen, ohne Vernunfterkenntnis im Gegensatz zur Offenbarung zu stellen. Aristoteles gibt eine Erklärung zu Gott dem Schöpfer. Aristoteles und Platon waren Monotheisten, Platon hat sogar den Polytheismus scharf verurteilt. Aristoteles spricht von Gott dem Schöpfer als vom „unbewegten Beweger“, was bedeutet, dass Gott keine Ursache  haben kann und hat, aber selbst Ursache der Schöpfung ist und die Schöpfung damit auch der Beginn der Kausalität. Die Dreieinigkeit vernünftig, was bedeuten kann philosophisch zu ergründen, unternimmt Gottfried Wilhelm Leibniz mit einem Satz aus der Mathematik: Sind zwei Größen einer dritten gleich, so sind sie untereinander gleich (s. o. Seite 43).  Leibniz gilt als das letzte Universalgenie der Geschichte. Bis zum Jahr 2050 wird eine Leibniz-Expertengruppe an der Arbeit sein, um den Nachlass, das sein Gedankengebäude ausmacht, aufzuarbeiten, und in vollem Umfange aller

[314] Nagel, Helmut: 233 f

[315] ebd. S. 236 f

[316] ebd. S. 238

                                                                                                         106                                                                                                     

Wissenschaft zugänglich zu machen. Es sei nur an das Duale Zahlensystem erinnert, mit der 2 als Basis, was heute aus der digitalen Computerwelt nicht weggedacht werden kann. In der Theologie war er bestrebt um die Verständigung unter den Konfessionen und stand dadurch im Katholizismus in einem hohen Ansehen, was nicht ohne Bedeutung ist, denn der Dreißigjährige Krieg neigte sich mit seinem Geburtsjahr 1646 gerade dem Ende zu. Die Dreieinigkeit am Beispiel der Sonne zu erklären, eröffnet einen anderen Ausweg, den als schwierig empfundenen Weg zu beschreiten. In der Sonne erkennen wir drei Funktionen ein und derselben Sache, wenn eine Funktion ausfällt, muss das ganze System als erledigt angesehen werden.  Durch den Prozess der Kernverschmelzung in der Sonne selbst entsteht Energie, die in Licht und Wärme ihren Ausdruck findet. Die drei Funktionen sind aufeinander angewiesen, mit dem Ausfall einer Funktion ist die Existenzmöglichkeit der beiden anderen nicht mehr gegeben; Zweck und Ziel lassen sich nicht mehr verwirklichen. Die Funktionen können unterschiedliche Auswirkungen haben, Wärme kann unterschiedlich ausfallen mit der Wirkung, dass Wasser verdampft oder gefriert. Mit einem gänzlichen Ausfall der Wärme würde alles organische Leben erlöschen, dasselbe gilt auch für das Licht, ohne Licht gäbe es einfach kein Sein. Dieser kurze Vorspann soll überleiten zum Wesen und zur Bedeutung der Dreieinigkeit. Es gibt in der Dreieinigkeit, die auch mit drei Personen beschrieben und gleichgesetzt worden ist, keine Prioritäten, keine Abgrenzungen von Kompetenzen, keine hierarchische Rangordnung, keine räumliche oder zeitliche Abgrenzungen und keine Veränderungen wie beim Menschen, wäre es anders, müsste von einer Dreiteilung oder Dreigliederung gesprochen werden, was aber als Unmöglichkeit angesehen werden muss. Es gibt keine Funktionsübertragung oder Abgrenzung innerhalb der Dreieinigkeit und auch keine Abstufungen. Wenn der Eindruck entstehen könnte wie im Evangelium nach Johannes, Kapitel 14, Vers 28: (28) Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich.[317] In dieser Aussage spricht Jesus als Mensch im Fleisch der Menschen mit dem er zu uns gekommen ist, einem Fleisch allerdings, in dem keine Sünde gefunden wurde, und das aller Versuchung ausgesetzt, ihr aber nicht erlegen war, nur auf diesem Wege konnte die Erlösung vollbracht werden, vom wahren Gott und wahren Menschen (s. o. Seite 81, 84, 97, 98, 101). Die Dreieinigkeit ist der Weg Gottes zum Menschen. Aus diesem theologischen Blickwinkel, muss die Auseinandersetzung um das filioque als müßig angesehen werden, besonders, wenn die Auswirkungen dazu ins Verhältnis gesetzt werden.

In einem Punkt unterscheidet sich die Streitkultur in der Christenheit zum abgehandelten Zeitraum. Felix von Urgel wurde zwar nach dem Konzil von Aachen die Rückkehr in seine Heimat verwehrt, und er wurde in einem Kloster in Lyon festgesetzt. Folter oder gar Scheiterhaufen kamen aber nicht zur Anwendung. Der Einsatz solcher Mittel sollte späteren „fortschrittlicheren“ Zeiten vorbehalten bleiben, in denen es geschehen konnte, dass unterschiedliche Auffassungen in der Abendmahlslehre, der Prädestinationslehre oder auch zur Dreieinigkeit zu einer Entscheidung zwischen Leben und Tod werden konnten. Das betrifft besonders die Zeit des ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Neuzeit im 16. und 17. Jahrhundert, wo unterschiedliche Ansichten in dogmatischen Fragen zu Bürgerkriegen bis hin zu einem europäisch ausgeweitetem Krieg im Dreißigjährigen Krieg von 1618-1648 einmündeten. Eine Entwicklung solchen Ausmaßes blieb der Kirche des Ostens erspart, sie erlag teilweise dem Ansturm von außen, bis sie sich in Russland ein festes Fundament schaffen konnte und dort ihre größte Ausdehnung erreichte.

Der letzte Akt in der Zeit der Herrschaft Karls des Großen wurde am Weihnachtstag des Jahres 800 vollzogen. Er bildete Ausgangspunkt und Grundlage für Europas weitere Entwicklung,

[317] revidierte Übersetzung nach Luther 1984

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darum muss diesem als Gründungsakt angesehenen Ereignis eine angemessene und ausführlichere Betrachtung zu Teil werden. Der Kaiserkrönung gingen Ereignisse voraus, die besonders das Verhältnis zu Byzanz (Ostrom), und dem einheitlich sich darstellenden weströmischen Reiches, das unter der Herrschaft Karls herangewachsen war. Der Name Heiliges Römisches Reich lässt schon erkennen, das aus der Gründung des von Karl geschaffenen einheitlichen Reiches, welcher Staatsgedanke als Ausgangspunkt ausersehen worden war, und wenn es hieß „Heiliges Reich“, so war damit zugleich ein Anspruch verbunden. Beim Aufbau seines Großreiches sah sich Karl drei Mächtegruppierungen gegenüber, die auf ihrer Überlieferungen und Bestrebungen universale Geltung beanspruchten: Das Imperium (weltliche Macht) Sazerdotium (geistliche Macht) und der religiösen auf den Gründer einer neuen Religion, Mohammed, zurückgehenden Islam, der sich zu einer machtvollen Ausdehnung, und schließlich zu einer Weltreligion entfaltet hatte. Innerhalb der Christenheit hatten sich gesondert zwei Größen herausgebildet und erhalten: Das oströmische Kaiserreich in Byzanz und das Papsttum in Rom, mit denen das Frankenreich in Beziehung trat, um ein geregeltes Verhältnis zu erlangen. Beide konnten auf eine Tradition verweisen, die das Römische Reich in seiner historischen Entwicklung betraf.   Das Römische Reich in heidnischer und christlicher Zeit gründete sich auf einen universalen Staatsaufbau. Sein Staats-und Selbstverständnis bezog es aus seiner kulturellen Leistung und  Entwicklung, die seine Identität ausmachte, mit der es eine Überlegenheit empfand zu den Völkerschaften, die das Reich umgaben. Die römische Staatsbürgerschaft war nicht an eine ethnische oder religiöse Herkunft gebunden. Der Apostel Paulus war römischer Staatsbürger, und in der Apostelgeschichte Kapitel 16 wird berichtet, wie er in Thyatira, einer Stadt in Lydien in Kleinasien, einem Gebiet im Westen der heutigen Türkei, nach Inhaftierung und Züchtigung sich als römischer Staatsbürger ausweisen konnte, was bei den zuständigen römischen Behördenvertretern Befürchtungen auslöste, weil sie gegen Recht und Gesetzt verstoßen hatten, auf das sich der Apostel  berufen und Genugtuung  fordern konnte, die er auch  und erhielt.

Im dritten Viertel des 8. Jahrhunderts erweiterten und festigten die Langobarden ihre Herrschaft in Norditalien mit dem Erzbischofssitz in Ravenna und die Stadt Pavia, die zur Hauptstadt erkoren wurde. 772 starb Karls Bruder Karlmann, der seit 768 mit seinem Bruder die Herrschaft über das Frankenreich geteilt hatte. Seine Witwe floh darauf mit ihren beiden Söhnen zu Desiderius dem König der Langbarden, sie hoffte auf diese Weise für ihre Söhne die Nachfolge zu sichern. Mit dem Tode Karlmanns konnte sich Karl zum Alleinherrscher auf das bis dahin geteilte Reich aufschwingen, und seine Politik auf die Erweiterung der Macht nach außen richten. In dieser Lage verlangte Desiderius eine Begegnung mit dem Papst und die Salbung der Söhne Karlmanns zu Frankenkönigen, was Papst Hadrian in Bedrängnis brachte, er musste wählen zwischen Karl und dem Langbardenkönig, der seinen Machtbereich bedrohlich für Rom weiter nach Süden ausgedehnt hatte. Hadrian reiste im Frühjahr 773 zur Pfalz nach Diedenhofen zu Verhandlungen, die ergebnislos verliefen. Im Sommer desselben Jahres zog Karl mit einem Heer nach Italien, belagerte Pavia, das er nach neunmonatiger Belagerung im Juni 774 einnahm. Desiderius wurde in ein Kloster verbracht, und Karl krönte sich zum König der Langbarden ohne Wahl und kirchliche Weihen. Noch während der Belagerung war er im April 774 zum Erschrecken des Papstes nach Rom gezogen. Die Hilfe der Franken gegen die Langbarden war vom Papst erwünscht, nicht aber die Herrschaft Karls über Rom. Die oströmischen Kaiser hatten Karls Stellung in Italien nicht anerkannt, aber auch nicht ernsthaft angegriffen, was der Papst befürchtet hatte, statt dessen kam es zu einem Bündnis mit Byzanz.[318] Karl hat wohlüberlegt Rom dreimal einen Besuch abgestattet, immer zu dem höchsten Feiertag, Ostern,

[318] Classen, Peter: Karl der Große, das Papstum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums. Sigmaringen 1985 S. 30

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dem Tag der Auferstehung Jesu Christi, und das vierte Mal zum zweithöchsten, dem Weihnachtstag, dem Geburtsfest Christi.[319]

Im Frühjahr 781 unternahm Karl seine zweite Romreise, die als Ergebnis ein Bündnis mit dem oströmischen Kaiserreich einbrachte. Nach dem Tode Kaiser Leons IV. im September 780 gelangte seine Witwe, Kaiserin Irene an die Macht, die sie als Mitkaiserin für ihren erst zehn Jahre alten Sohn Konstantin VI. übernahm. Sie war gezwungen ihre Herrschaft nach unterschiedlichen Richtungen hin abzusichern. Es gelang ihr den Widerstand aus der nahen Verwandtschaft abzuwehren. Aus Sizilien, das zur der Zeit als oströmisches Territorium angesehen wurde, erwuchs weiterer Widerstand durch den dortigen Oberbefehlshaber der oströmischen Streitkräfte, Elipidius, im Frühjahr 781. Dem byzantinischen Herrschaftsbereich zugehörig waren auch große Teile Süditaliens mit Benevent und Capua. Kaiserin Irene entsandte einen starken Flottenverband nach Sizilien und vertrieb Elipidius, der nach Nordafrika entfloh und im moslemischen Herrschaftsbereich Schutz suchte. Einer oströmischen Chronologie zufolge suchte Irene gleichzeitig ein Bündnis mit dem Herrscher des weströmischen Reiches zu schmieden, denn nach oströmischer Vorstellung wurde immer noch von einem einheitlichen römischen Staatsgedanken ausgegangen. Das angestrebte Bündnis sollte nach Absicht der Kaiserin durch ein Eheprojekt bekräftigt werden, durch eine Heirat zwischen Karls Tochter Rothrud mit dem jungen Kaiser. Die fränkischen Quellen vermitteln eine andere Sicht. Danach wurden Bündnis und Verlobung während der Romreise Karls im Frühjahr 781 ausgehandelt, und dass die Erhebung des Elipidius aus der Befürchtung heraus geschah, die Kaiserin könnte große Teile Süditaliens aufgeben und dem fränkischen Machtbereich überlassen.[320] Der Frankenkönig war bereit seine Tochter dem höchsten Herrscher der Christenheit zu vermählen und holte dazu griechische Erzieher an seinen Hof.[321] 785 hatte sich der Sachsenherzog Widukind Karl und damit auch dem fränkischen Herrschaftsanspruch unterworfen und sich christlich taufen lassen, für die Franken und ihrem König entstand eine Atempause und es herrschte die Überzeugung, die Sachsenkriege seinen endgültig beendet, so reifte in Karl der Entschluss zu einer dritten Italienreise, zu der er Ende 786 aufbrach. Vorgesehen waren Verhandlungen mit Byzanz, und Arichis, den Fürsten von Benevent, der als Haupt der freien Langobarden über ein gefestigtes Staatswesen herrschte und in Rom und im fränkischen Herrschaftsbereich Befürchtungen auslöste. In oder bei Capua trafen Gesandte Irenes und Konstantin VI. ein, um die seit Langem Verlobte Tochter Rothrud nach Konstantinopel zu geleiten. Karl hatte es sich in der Zwischenzeit anders überlegt, und er weigerte sich, seine Tochter ziehen zu lassen. Das noch zuvor von politischen Visionen begleitete Eheprojekt kam nicht zustande, und das fränkisch-byzantinische Einvernehmen zerbrach. Die Quellen berichten auch hier unterschiedlich, dass jeweils die eine Seite das Interesse verloren hatte. Beweggründe werden von beiden Seiten nicht genannt, aber das fränkische Ausgreifen nach Benevent und dem Süden Italiens, und die Weigerung einer fränkischen Teilhabe an einem Konzil in Konstantinopel boten Konfliktstoff, außerdem, so wird berichtet, habe Karl sehr an seiner Tochter gehangen. Zum dritten Mal feierte Karl 787 das Osterfest  bei Papst Hadrian in Rom, und wieder erhielt die Römische Kirche Schenkungen, diesmal beneventinische und tuskische Ortschaften. Tassilo von Bayern versuchte in einem Konflikt mit dem Frankenkönig, die Vermittlung Hadrians zu erreichen, aber der Papst ließ den Bayernherzog fallen, und Karl hatte freie Hand, ihn gänzlich zu entmachten.[322] Papst Hadrian starb am Weihnachtstage 795 noch am folgenden Tag, dem Tag seines Begräbnisses wurde Leo III. zum Papst gewählt. Im selben Jahr und davor durchlebte Byzanz unruhige Jahre. Kaiserin Irene war es gelungen,

[319]  Classen, Peter: S. 28

[320] ebd. S. 30

[321] ebd. S. 31 f

[322] ebd. S. 32 f

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die Bilderverehrung zu erneuern, suchte sie ihr Werk gegen den unsteten Sohn zu sichern, der einst Karls Tochter hatte heiraten sollen und nun zwischen der Mutter und den bilderfeindlichen Truppen, zwischen Einflüsterungen von Höflingen oder Frauen und einem unbeherrschten Selbstbewusstsein schwankt, die Mutter verjagt und zum Hof zurückholt, seine Ehe scheidet und eine Hofdame heiratet. Sein Lebenswandel gibt ihn der Verachtung seiner Umgebung preis, bis die eigene Mutter ihn im August 797 absetzen und blenden lässt. Die Tat löst besonders am fränkischen Hof entsetzen aus, als die Nachricht dort eintrifft, dennoch wird im darauffolgenden Jahr eine Gesandtschaft Irenes empfangen, um über einen Frieden zu verhandeln, wobei es um  Grenzstreitigkeiten im Süden Italiens, und im Norden um Venetien und Istrien ging, worüber es seit den Feldzügen von 788 und den folgenden Jahren zu keiner Einigung gekommen war. Aus diesen Verhandlungen ist der Schluss gezogen worden, gegen Irene opponierende Kreise am Hof in Byzanz hätten ein Eingreifen Karls über seinen westlichen Einflussbereich hinaus befürwortet, stößt auf keinen realen Hintergrund.[323]

Karl sandte 798 eine große Legation nach Rom, um neben anderen Fragen, die zu klären waren, die Einführung der Metropolitanverfassung in der bayrischen Kirche zu betreiben. Den bayerischen Bischöfen schrieb Leo darauf, er habe mit Zustimmung und Willen des Königs Karl den Salzburger Arn zum Erzbischof erhoben, ihm das Pallium verliehen und Salzburg zum Metropolitensitz gemacht. Karl ordnete die Verfassung der fränkischen Kirche, der Papst vollzog die Verfügung des Königs. Indem Leo  um diese Zeit begann, seine Urkunden nicht nur nach Pontifikatsjahren zu datieren, sondern auch Karls Regierungsjahre daneben zu stellen, damit brachte er Karls Herrschaft über Rom auch formell zum Ausdruck. Schon zu der Zeit erkundigte sich Alkuin bei Arn, was denn der römische Adel Neues vorhabe, und Arn erwiderte, der Papst führe ein gerechtes Leben, leide aber unter dem Angriff der Söhne der Zwietracht. Die Opposition gegen Leo führte Paschalis an, einer der Neffen Hadrians, gemeinsam mit Campulus, die beide an der Spitze der päpstlichen Bürokratie standen. Beide hatten unter Hadrian Karriere gemacht, und waren im Frankenreich gut bekannt; Paschalis war bereits 778 als Gesandter bei Karl gewesen, Campulus kurz vor Hadrians Tod. Hinter ihnen standen viele andere Adelige Einwohner Roms. Sie entschlossen sich zu einem Gewaltstreich und überfielen den Papst am 25. April 799 mit der Absicht, Leo zu blenden und seine Zunge zu verstümmeln, eine Maßnahme, die in diesen Zeiten gehandhabt wurde, um so eine Amtsunfähigkeit herbeizuführen, verletzten ihn aber nur ungefährlich und setzten ihn in einem Kloster fest, wo er von seinen Verletzungen genas. Die Beweggründe sind im Nachhinein schwer zu ermitteln, fest steht nur, dass der Anschlag scheiterte, obwohl die Anführer die Stadt beherrschten, gelang ihnen weder die Absetzung noch den Papst dem Willen seiner Feinde gefügig zu machen. Mit dem Überfall auf den Papst setzte sich die Kette von Ereignissen in Bewegung, die unmittelbar zur Erhebung Karls zum Kaiser führten. Die Nachricht von dem Putsch verbreitete sich schnell. Mit Hilfe des Herzogs Winigis von Spoleto, dem Abt eines Klosters und einiger Getreuer, die sich als Gesandte des Königs in der Nähe Roms aufgehalten hatten, konnte der Papst aus Rom entkommen. Die Situation ließ dem Papst keine Wahl, nur mit Hilfe der Franken konnte er auf Freiheit und Sicherheit hoffen. Noch im Mai erfuhr Karl in Aachen, wo ihm von einer Blendung des Papstes berichtet worden war, von den Ereignissen. Die Nachricht gab er sofort weiter an Alkuin in Tours. Sobald Karl von der Rettung Leos aus der Gefangenschaft hörte, schickte er einen hohen Hofgeistlichen und zwei Grafen entgegen, um ihn an seinen Hof zu geleiten. Karl erwog nun eine Romfahrt, änderte aber seine unmittelbaren Pläne nicht, sondern begab sich in zweiten Junihälfte nach Sachsen.[324] Im Juli 799 traf Papst Leo in Paderborn ein, wo Karl Hof hielt. Er wurde mit großem Zeremoniell empfangen, was keinen Zweifel zuließ über seine Rechtmäßigkeit als Papst. Dass er unversehrt und gesund vor Karl erschien, wurde von

[323] Classen, Peter: S. 41 f

[324] ebd. S. 45 ff

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manchen als Wunder gedeutet, wovon Karl aber nicht so ohne weiteres überzeugt war. Die Klagen gegen den Pontifex lauteten auf Simonie (Ämterkauf), Eidbruch und sittliche Verfehlungen, die durch Boten dem König nahegebracht wurden. Es gab anscheinend in der Umgebung des Hofes Geistliche, die von der Berechtigung der Klagen nicht einfach Abstand nehmen wollten. Unversehens sah sich Karl vor die Frage gestellt, ob ihm die Jurisdiktion in Rom und vielleicht sogar über dem Papst zustand.[325] Schon als der Papst nach Paderborn gekommen war hatte Alkuin, aufgeschreckt durch die Nachrichten aus Rom, Karl in einem Brief gemahnt, den Sachsenkrieg abzubrechen, um sich ganz der Verantwortung für den Schutz des Papstes und der Kirche widmen zu können. Die andere Frage, ob der Papst selbst Karls Gericht unterworfen werden könne, bestand für den Angelsachsen nicht. Alkuin lässt keinen Zweifel: Karl muss jetzt in Rom das Recht wiederherstellen, den Papst schützen, und die Frevler strafen. Aber er leitet diese Überzeugung nicht aus dem Amt ab, das Karl als mächtiger weltlicher Herrscher innehatte. Die königliche Würde des Franken ist für ihn nach den Katastrophen in Rom und Konstantinopel das höchste und letzte, auf der das Heil der Christenheit beruht; Gott selbst hat Karl die Aufgabe gestellt. Alkuin verwendet den Begriff des Imperium Christianum (Christliches Reich), den er in seinen Briefen seit 798 öfter gebraucht. Der Ausdruck ist ihm aus der Liturgie zugeflossen, wo es in Gebeten für das Reich an Stelle des Imperium Romanum (Römisches Reich) getreten war. Alkuin hat diese Änderung selbst betrieben. Der Begriff ist unpolitisch und an Orten entstanden, wo nicht mehr von der Identität von christlicher Kirche und Römischen Reich ausgegangen wurde, und das Gebet für das Römische Reich seinen Sinn verloren hatte.[326]  

Karls Königtum war seit Langem in eine Stellung hineingewachsen, die alle bekannten Königtümer überragte. Über die Grenzen seines Reiches hinaus fühlte Karl sich für den rechten Glauben der Spanier und für den Schutz der Kirchen im Heiligen Land verantwortlich. Es wurden ihm im Laufe der Zeit manche Titel und Eigenschaften beigelegt, aber nichts deutet darauf hin, dass er die Erlangung der kaiserlichen Würde zielstrebig verfolgt hat; niemals hatte er in Rom Kaiserrechte an sich gezogen. Die geistige Konzeption des gesteigerten christlichen Königtums über ein Vielvölkerreich wird an Karls Hof nicht vom Vorbild des römisch-christlichen Kaisertums, sondern von dem des alttestamentlichen Königtums geprägt, nicht Konstantin, sondern David, der gesalbte König des Gottesvolkes, ist der Typus für Karl, gibt ihm den Namen, mit dem Alkuin und die anderen Glieder seines Hofkreises, geistliche und weltliche, ihn anredeten. Hatte Alkuin auf den Boden der theologischen-politischen Idee nachdem Richter über die  Frevler von Rom und nach und nach der höchsten irdischen Würde gefragt, so war es den in Paderborn Versammelten, an ihre Spitze Karl und Leo, aufgegeben, eine Antwort im Rahmen des gültigen irdischen Rechtes und der praktischen Politik zu finden. Dass die Frage nach dem Gericht in Rom gestellt wurde, ergibt sich nicht nur aus der Situation, sondern sagt neben Alkuins Briefen auch das vermutlich noch 799 oder 800 entstandene Epos über Leo und Karl. Zweierlei ist damals sicher beschlossen worden, zunächst die unmittelbar folgende Rückführung Leos nach Rom durch Karls Gesandte als Begleitung und die Untersuchung durch diese, sodann aber auch die Romfahrt Karls selbst, die schon im Juni 799 erwogen worden war. Seine persönliche Entscheidung in Rom war notwendig, ob vom Standpunkt der politischen Theologie oder der Machtpolitik, von der Frage nach dem Gericht über den Papst oder nach den Pflichten des defensor ecclesiae (Verteidiger der Kirche) ausging. Wurde schon in Paderborn die Lösung aller Fragen darin gesehen, dass Karl selbst das Kaisertum übernehmen müsse? Zu Anfang des Jahres 801, wenige Tage nach seiner Erhebung zum Kaiser, hat Karl die nach Rom zurückgeführten Gegner des Papstes nach römischem Recht als Majestätsverbrecher abgeurteilt. Daraus ist die These abgeleitet worden, die Kaisererhebung

[325] Classen, Peter: S. 47 f

[326] ebd. S. 48

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sei von Leo allein, ohne Karls Wissen, vorbereitet und durchgeführt worden, weil nur ein Kaiser den rechtsgültigen Majestätsprozess leiten könne. War dem wirklich so, dann muss das schon in Paderborn allen bewusst gewesen sein.[327] Die rechtliche Lage in Rom war also keineswegs eindeutig so, dass nur ein Kaiser gegen die Aufrührer vorgehen konnte; aber sie war unklar, und alle Unklarheiten waren in dem Augenblick beseitigt, da es in Rom einen Kaiser gab. Das kann für Leo ein starker Antrieb gewesen sein, den Franken gegenüber den Kaiserplan zu erörtern, und dies nicht erst in Rom im Dezember 800, sondern schon in Paderborn im Spätsommer 799. Ihm war es wohl wichtiger, seine Gegner in Rom für alle Zeit unschädlich zu machen, als das Postulat des Constitutum Constantini (Konstantinische Schenkung) aufrecht zu erhalten, in Rom dürfe kein irdischer Kaiser herrschen.[328] Sollte die Kaiserfrage in Paderborn erörtert und sogar eine grundlegende Einigung erzielt worden sein, hatte diese Lösung gewiss noch keine festen Formen angenommen. Karl hat über ein Jahr nach Leos Abreise gewartet, bis er selbst nach Rom zog. Zunächst musste in Rom Klarheit geschaffen werden. Karls Abordnung geleitete den Papst dorthin zurück und prüfte in Karls Auftrag die Position beider Seiten. Die Argumente der Gegner müssen Leo nicht wenig belastet haben, dennoch konnte keine Verfehlung die Gewalttat seiner Gegner rechtfertigen, darum ließen die Franken Paschalis, Campulus und ihre Mittäter verhaften und ins Frankenreich überstellen. Karls Abgeordnete traten in Rom zwar nicht als Richter, wohl aber als vom fränkischen König beauftragte Untersuchungsbeamte auf, und die Verhaftung der Papstgegner war selbst dann, politisch zu sehen, wenn der Papst dazu eine formelle Vollmacht gegeben hätte, eine Handhabung des Frankenkönigs in Rom.[329]

Alkuins Briefe aus diesen Monaten ebenso wie die Verse, die er Karl auf die Romfahrt mitgehen ließ, spielen wohl  auf das Richteramt an, mahnen zu rechtem Gericht und sprechen von der hohen Aufgabe in Rom, vom Kaisertum aber ist mit keinem Wort die Rede. Von den vielumstrittenen Ereignissen, die am Weihnachtstag 800 ihren Höhepunkt erreichten, berichten drei unmittelbar zeitgenössische Quellen, die einander ergänzen, aber kaum widersprechen, zu denen eine Reihe späterer kleinerer Zeugnisse hinzutreten. Der Hergang selbst bietet viel weniger Schwierigkeiten als die Deutung, die Erkenntnisse der Beweggründe und Ideen, die das Handeln der beteiligten Persönlichkeiten leiteten. Vom Standpunkt der Anhänger des Papstes Leo berichtet eine um 801 niedergeschriebene Vita des Papstes. Von fränkischer Seite liegen die Reichsannalen vor, die gleichfalls nicht lange nach den Ereignissen abgefasst, und die Sicht des Hofes wiederspiegeln. Neben diesen Quellen steht, vor allem für die dem Weihnachtstag unmittelbar vorausgehenden Geschehnisse von einzigartigem Wert, der Bericht des Lorscher Annalisten. Von Mainz war Karl nach Ravenna, wo er einen Teil des Heeres unter Pipin gegen Benevent abordnete, gezogen. Fast ein volles Jahr nach der Rückkehr des Papstes stand er am 23. November 800 vor den Toren Roms.[330]

Eine Woche nach seiner Ankunft machte Karl sich an die Arbeit. Das große Empfangszeremoniell, das Leo veranstaltet hatte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anklagen gegen den Papst noch nicht aus dem Weg geräumt waren. In der Peterskirche trat unter Karls Vorsitz eine Versammlung zusammen, die neben dem römischen und fränkischen Klerus auch Laien angehörten. Die Rechtsform der Untersuchung lässt Eindeutigkeit vermissen; obwohl es auch im fränkischen Klerus Männer gab, die ganz anders dachten als Alkuin und Leos Rücktritt wünschten. Gleichwohl wurde es als notwendig angesehen, die Beschuldigungen vor dem Weihnachtsfest aus der Welt zu schaffen, und so ergab sich drei

[327] Classen, Peter: S. 50 f

[328] ebd. S. 52

[329] ebd. S. 54

[330] ebd. S. 58

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Wochen nach Beginn der Untersuchung eine Einigung, die den Papst freiwillig und ohne gerichtlichen Zwang zu einem Reinigungseid verpflichtete. Auf dem Ambo der Peterskirche schwor Leo am 23. Dezember den Eid, und der versammelte römische und fränkische Klerus feierte mit Litaneien und Laudes die wiederhergestellte Ehre und Unschuld des Papstes.[331]

Gemäß einem Bericht der Lorscher Annalen wurde am 23. Dezember 800 in Rom ein Konzil einberufen, das mit Papst Leo an der Spitze beschloss, „dass man Karl, den König der Franken, Kaiser nennen müsse“. Karl wollte diesen Antrag nicht ablehnen, sondern in aller Demut vor Gott und auf Bitten des Klerus und des ganzen christlichen Volkes nahm er am Tage der Geburt unseres Herrn Jesus Christus mit der Weihe des Papstes den Kaisernamen an“.

Papst Hadrian hatte zwar mit Kaiserin Irene zusammengearbeitet, aber seit dem Sturz Konstatins VI. und der Alleinherrschaft Irenes lassen sich Beziehungen zwischen Rom und Byzanz nicht nachweisen. Karl hatte 798 mit einer Gesandtschaft der Kaiserin in Aachen „über den Frieden“ verhandelt, also keinen Grund gesehen, ihr Recht zu bestreiten. Das Vorgehen gegen ihren Sohn hatte im Frankenreich Aufsehen und Abscheu erregt. Alkuin hatte in einem Brief an Karl der Absetzung Konstantins VI. gedacht, des Kaisertums Irenes aber nicht, und damit die Vakanz des byzantinischen Kaiserthrones vorweggenommen, vor diesem Hintergrund hatte Karl jede aggressive Haltung vermieden.[332]

Über die Krönung selber hat es unterschiedliche Darstellungen und Interpretationen gegeben. Als Karl sich bei der Messe des Weihnachtstages 800 vom Gebet vor der Confessio St. Petri erhob, setzte der Papst ihm eine sehr kostbare Krone auf das Haupt. Darauf folgte für Karl von allen anwesenden Römern die Bestätigung durch Akklamation mit Gesang und Anrufung der Heiligen. Der Papst bestätigte durch Kniefall, wie es bei den alten Kaisern üblich gewesen war, die Weihe und Anerkennung. „Und er wurde von allen als Kaiser der Römer eingesetzt“ (Liber Pontificalis), „und nach Ablegung des Patriziernamens wurde er imperator und augustus genannt“ (Reichsannalen). Die beiden Hauptberichte (Reichsannalen und Liber Pontificalis) nennen die zwei wichtigsten Vorgänge: Das Aufsetzen der Krone und die Akklamation durch die Römer in dieser Reihenfolge; als Ergebnis des Gesamtvorganges wird festgestellt, dass Karl zum Kaiser eingesetzt und Kaiser genannt wurde. Beide Vorgänge müssen einzeln betrachtet werden. Kronen waren seit Konstantin dem Großen zu den wichtigsten Herrschaftszeichen geworden.[333] Neu im Text ist also nur der Kaisertitel, Augustus und Imperator. Wie dem auch sei, es ist gewiss, dass der Ablauf genau abgesprochen und vorbereitet war. Das Volk zumindest aber der gesamte römische Klerus, hatte den Akklamationstext gelernt und geübt, wusste, was geschehen musste, wenn der Papst mit der Krönung das Zeichen gab.[334]

Das einzige Argument gegen eine Kaisersalbung Karls des Großen ist die These von einer Überrumpelung Karls durch den Papst, jene These, die schon aus ganz anderen Gründen als überwunden gelten muss. Wenn sich auch angesichts des Schweigens der Hauptquellen letzte Sicherheit nicht gewinnen lässt, so ist die Möglichkeit, dass Karl mit der Krone auch die Salbung empfing, gewiss auch nicht einfach von der Hand zu weisen. Zumindest aber sprach der Papst ein Weihegebet.[335]

[331] Classen, Peter: S. 59

[332] ebd. S. 60 f

[333] ebd. S. 62

[334] ebd. S. 67

[335] ebd. S. 68 f

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Wenn Karl einen anderen Weg ging, wenn er als erster aller Kaiser überhaupt einen anderen Weg ging, wenn er als erster aller Kaiser überhaupt seiner Titulatur ein auf Rom bezügliches Glied einfügte, dann bedeutet das, dass er die römische Wurzel seines Kaisertums nicht leugnen oder abschwächen, sondern gerade betonen wollte. Ihm lag nichts an einem unklaren inhaltslosen Kaisertitel, wie es zuweilen angelsächsische Könige geführt hatten. Der einzige im amtlichen Sprachgebrauch Italiens, besonders in Eidesformeln, längst gebräuchliche Titelform, die Rom nannte, sprach weder von Stadt noch von den „Römern“, sondern vom Römischen Reich. Indem Karl diese Formel aufnahm, konnte er das ganze Gewicht des allein echten, römischen Kaisertums hervorkehren, ohne die Römer den Franken vorzuziehen. So entstand die eigenartige Verknüpfung der übergreifenden Institution des Römischen Reiches mit dem Personenverband der Franken und Langobarden im kunstvoll ausgearbeiteten Titel Karls.[336]

Es wurde bisher die Quelle bewusst außer Acht gelassen, die unter den Berichten über Karls Erhebung zum Kaiser die Hauptschwierigkeit bietet: Einharts berühmtes Kapitel 28 der Vita Caroli Magni. Die rund dreißig Jahre nach den Ereignissen niedergeschriebene Quelle, deren sachliche Irrtümer in vielen Dingen so unbestritten sind wie die literarischen Qualitäten, gibt alles andere als eine Erzählung der Vorgänge, sondern eher eine bestimmte Interpretation bestimmter Gesichtspunkte wieder.[337]

Es kann der Eindruck gewonnen werden, dass Einhart die politische Distanz zu Rom nicht ohne Absicht betont. Darauf wird im Kapitel 28. Kapitel der letzte Romzug behandelt. Ihn veranlasste der Wunsch, nachdem Aufstand gegen Papst Leo, den Zustand der Kirche zu ordnen; einen ganzen Winter brachte Karl deshalb in Rom zu. „Zu dieser Zeit nahm er den Namen Imperator und Augustus“ an. Handelndes Subjekt ist Karl; der Papst, von dem nur anlässlich des Aufstandes die Rede war, erscheint hier überhaupt nicht. „Diesem Namen war er zuerst so abgeneigt, dass er versicherte, er hätte an jenem Tage, obwohl er ein hervorragendes Fest war, die Kirche nicht betreten, wenn er den Plan des Papstes hätte wissen können“.[338]

Das alles ergibt ein gut zusammengefügtes Bild, aber keine Schilderung der Vorgänge, und ist darum Missverständnissen ausgesetzt. Es wurde daraus der Schluss gezogen, Karl selbst sei von der Krönung überrascht worden. Wollte Einhart dies sagen, so entsprach es nicht den Tatsachen. Selbst wer zweifelt, ob in Paderborn 799 und in Rom zwei Tage vor Weihnachten über das Kaisertum verhandelt wurde, wird einräumen müssen, dass er durch den Empfang mit kaiserlichen Ehren am 23. November vorbereitet sein musste, dass eine Krone nicht einem Ahnungslosen übergestülpt werden konnte, dass eine Akklamation der Abrede und Einübung durch viele bedurfte, und dass Karl  eine ungewöhnliche Naivität unterstellt werden müsste, wenn die Vorbereitungen ihm verborgen geblieben sein sollten. Der Möglichkeiten sind viele, aber sicher ist, dass Karl nicht wider Willen zum Kaiser wurde.[339]  

Das Kaisertum, so wie es 800 in Rom geschaffen wurde, entsprach nicht Alkuins Vorstellungen. Mit dem römischen Titel war es nicht das Christliche Imperium, nicht eine Überhöhung des davidischen Königtums, das Alkuin vorschwebte. Vermied er auch offenen Widerspruch, so ist sein Ausweichen und Schweigen deutlich genug. Damit ist nicht gesagt, dass er gegen das Kaisertum selbst eingestellt war, nur die Form in der es verwirklichte wurde, lief seinen Ideen zuwider. Der Putsch zwang Papst Leo, um Hilfe nachzusuchen, wodurch Karl die Aufgabe

[336] Classen, Peter: S.73

[337] ebd. S. 74

[338]  zitiert ebd. S. 75

[339] ebd. 75 ff

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zufiel, Verantwortung und schließlich richterliche Gewalt auszuüben, und eine eindeutige Definition seiner Stellung anzustreben.[340]

Ein Akt wie die Kaiserkrönung Karls des Großen von so weittragender und weitreichender Bedeutung, ohne vorher festgelegtes Protokoll zu vollziehen, ist schwer vorstellbar. Minuziöse protokollarische Festlegungen waren damals, genau wie heute, üblich. Die Quellen der Zeit berichten darüber aber nichts, dafür aber Darstellungen und Interpretationen, die Fragen übrig lassen, daran hat sich in den mehr als 1200 Jahren, die seit diesem Ereignis vergangen sind, nichts geändert. Wenn Absprachen stattgefunden haben in Paderborn und später in Rom, wofür vieles spricht, dann ist eine planvolle protokollarische Durchführung nirgends belegt. Die Krönung hat stattgefunden und die mittelalterliche Geschichte geprägt wie kein anderes Ereignis. Ein zweiter Punkt von ebenso großer Wichtigkeit muss hier genannt werden, der auf eine verfassungsrechtliche Absicherung hinweist, und einen weiteren Mangel offenlegt. Er betrifft den Rahmen für die beiden mächtigen Institutionen Papst als geistliches Oberhaupt und Kaiser als weltliches Oberhaupt. Eine Festlegung der beiden Kompetenzbereiche ist umgangen worden mit schwerwiegenden Auswirkungen in der zweiten Hälfte des Mittelalters. Die Unsicherheiten, die der Gründungsakt erkennen lässt, haben sich fortgesetzt, sie haben sich sogar fortgesetzt bis in die unmittelbare Gegenwart. Das Gebilde, das sich Europäische Union nennt, verfügt über keine verfassungsrechtliche Grundlage, die den Namen verdient. Verträge werden geschlossen und willkürlich gehandhabt, sie werden eingehalten oder auch nicht. Karl wollte dem staatlichen Gebilde, das er mit seinen vielen Völkerschaften und unterschiedlichen historischen Entwicklungen geschaffen hatte, einen Rahmen geben, der seinen Bestand gesichert hätte. Er hatte klar erkannt, worauf es ankam, aber die Kräfte und Umstände haben nicht ausgereicht, um alles in dem notwendigen Umfang zu verwirklichen. Seine unmittelbaren Nachfolger besaßen nicht das Format, um alles in eine Bahn zu lenken und weiter zu führen. Von einer anderen Krönung muss in diesem Zusammenhang berichtet werden: Die Krönung Napoleons I. zum Kaiser der Franzosen am 2. Dezember 1804 in der Kathedrale von Notre Dame in Paris. Schon der Krönungsakt zeigt wesentliche Unterschiede: Napoleon setzte sich die Krone selbst aufs Haupt, um dann auch seine Frau Josephine zu krönen. Der Papst stand daneben, ihm wurde nicht mehr als eine Zuschauerrolle zugebilligt. Napoleon stand dem universalen Staatsgedanken, wie er von Karl mit Leidenschaft vertreten wurde, ablehnend gegenüber; er wollte ein Europa unter nationalstaatlicher französischer Hegemonie. Napoleon hätte etwas bewirken können, keine Herrscherpersönlichkeit hatte seit Karl dem Großen eine solche Machtfülle in sich vereinigt wie Kaiser Napoleon, ihm war die Aufgabe zugefallen, Tradition und Moderne zusammenzuführen, er ist dieser Aufgabe nicht gerecht geworden. Beiden Kaisern wurde unter unterschiedlichen Voraussetzungen die Krone aufgesetzt, ein Akt für nur einen Augenblick mit langandauernden unübersehbaren Folgen. Eine Aussage Friedrich von Schillers passt dazu: „Was du von der Minute ausschlägst, bringt keine Ewigkeit zurück“. Europa ist heute zweigeteilt in ein monarchisches und ein republikanisches Europa, Gegensätze, die schwer zu überwinden sind. Die These, Monarchie und parlamentarische Demokratie könnten nicht zusammengehen, ist durch eine historische Entwicklung widerlegt. Den Beweis liefern die Beneluxstaaten, die skandinavischen Länder, Spanien und Großbritannien. Die Klammer, die das britische Commonwealth zusammenhält, das aus 53 Staaten besteht, ist die britische Monarchie, die in hervorragender Weise diese Aufgabe wahrnimmt. Die Monarchie verfügt anders als die Republik über traditionelle Bindungen, außerdem ist sie parteipolitischen Verpflichtungen entrückt. Monarchie und parlamentarische Demokratie bilden gemeinsam eine zusätzliche Absicherung gegen diktatorische Ambitionen.

[340] Classen, Peter: S. 78 f

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Wie nahm Karl seine Aufgabe wahr, die ihm nach seiner Rückkehr aus Rom zugefallen war? Hat er auch außerhalb Roms in seinen übrigen Herrschaftsgebieten neues Recht geschaffen? Einhart berichtet darüber, wie er als Kaiser begonnen habe, die Gesetze der Franken zu überarbeiten. 802/03 wurde damit der Anfang gemacht, Volksrechte im Frankenreich zu ergänzen und zu revidieren. Das religiöse Leben sollte in festgefügte Bahnen gelenkt werden, was sich in Verfügungen über Kirchenrecht und Klosterleben niederschlug. Karl leitet aus seinem Kaisertum neue Verpflichtung und neues Recht in seinem ganzen Reich ab, aber in den Reformgesetzen lebt weniger die römische Komponente des Kaisertums als vielmehr die christliche, die Verpflichtung des gottberufenen Herrschers, als der sich Karl verstand. Das Imperium Romanum (Römisches Reich) sollte umgewandelt werden in ein Imperium Christianum (Christliches Reich), wie es den Vorstellungen Alkuins entsprach.

Karls Handeln als Kaiser beschränkte sich auf sein altes Herrschaftsgebiet mit Einschluss des römischen Italien. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass er je daran gedacht hat, darüber hinaus im Osten des Römischen Reiches Rechte geltend zu machen. Dennoch fühlte sich Byzanz vom ersten Tag an politisch angegriffen. Die Voraussetzung für das Geschehen am Weihnachtstage 800 war in den Augen Leos wie Karls die Vakanz des Thrones in Konstantinopel gewesen. Die Herrschaft der Kaiserin Irene stieß in Byzanz auf offene oder geheime Opposition, dennoch wurde die Kaiserkrönung in Rom als Usurpation durch die Franken betrachtet.[341]

802 wurde die Kaiserin Irene durch Nikephoros, der ihr leitender Finanzbeamter gewesen war, abgesetzt und verbannt. Der neue Kaiser Nikephoros setzte die begonnenen Verhandlungen mit Karl fort und entsandte eine Delegation, die im Sommer 803 empfangen wurde. Diesen Gesandten wurde der schriftliche Entwurf eines Friedensvertrages ausgehändigt, den die Griechen mit einem zusätzlichen Brief Kaiser Karls über Rom mit nach Konstantinopel nahmen. Vom Inhalt dieses Vertrages ist nichts überliefert, es ist aber vermutet worden, dass er den Vorschlag enthalten einer gegenseitigen Anerkennung des Kaisertum sowie vertragliche Absicherung der jeweiligen Herrschaftsgebiete, was Karl in späterer Zeit weiter angestrebt hat. Solche Vorschläge stießen in Byzanz auf Ablehnung, Karl wurde dort als Barbarenherrscher und Usurpator angesehen, dem eine Herrschaft über das immer noch als unteilbar geltende Römische Reich nicht zugebilligt werden konnte. Nikephoros ließ die Vorschläge unbeantwortet; zu kriegerischen Handlungen kam es zunächst nicht, Karl sah keinen Anlass und Nikephoros keine Möglichkeit dazu. Damit waren nicht nur die politischen, sondern auch die kirchlichen Beziehungen zwischen Konstantinopel und Rom abgebrochen, denn indem Leo III. Karl zum Kaiser ausgerufen hatte, war der Westen des Reiches nach byzantinischer Auffassung nicht nur vom Reich, sondern auch von der Reichskirche getrennt worden. Die Gesandten des Papstes und Karls hatten 802 gemeinsam in Konstantinopel den Ausgleich gesucht, waren aber abgewiesen worden, Papst Leo wurde als Schismatiker angesehen und Karl als Usurpator.[342]

Zu keiner Zeit hat Karl aus seinem Kaisertum territoriale Ansprüche abgeleitet, das kommt auch in der Nachfolgeordnung für seine Söhne zum Ausdruck. Kriegerische Verwicklung gab es um Venetien, das im Nordosten Italiens an das Frankenreich grenzte. Venetien war ein Gebiet geblieben, das sich selbst verwaltete, ohne die byzantinische Oberhoheit in Frage zu stellen. Byzanz sah dennoch einen Anlass militärisch einzugreifen, nicht das „Zwei-Kaiser-Problem war dabei ausschlaggebend, sondern der Streit um die Herrschaft über Venetien, der zu Kriegen zwischen Byzanz und den Franken führte, da Byzanz zur See die Überlegenheit besaß, blieb

[341] Classen, Peter: S. 81 f

[342} ebd. 86 f

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es erfolgreich.[343] Ein Krieg mit den Bulgaren, in dem Kaiser Nikephoros fiel, zwang Byzanz schließlich zum Einlenken, 810 kam es zu Friedensverhandlungen, im Text darin redet Karl Nikephoros mit fraternitas tua (Dein Bruder) an, ein Begriff aus dem Vokabular der „Familie der Könige“, mit dem eine Gleichrangigkeit am ehesten ihren Ausdruck fand, was in den Augen Einharts als eine Großmut des fränkischen Kaisers gegenüber den Griechen angesehen wurde. Der Frieden war auf beiden Seiten eine beschlossene Sache. Es folgten komplizierte Formen, mit denen das Beschlossene Rechtskraft erlangen und sichern sollte. Fast zwölf Jahre nach der Kaiserkrönung erkannte Byzanz das Kaisertum Karls an, indem Kaiser Michael dies Kaisertum als bloße Rangerhöhung für einen Herrscher über viele Völker erachtete und so trachtete, diesem Kaisertitel eine andere Deutung unterzuschieben, zugleich unternahm er es, ein Eheprojekt vorzuschlagen zwischen seinen von ihm erhobenen Mitkaiser Theophylakt und einer fränkischen Prinzessin. Auf diesem Wege so hatte er sich ausgemalt, sollte die Einheit des Römischen Reiches wieder erreicht werden. Der Vertrag zwischen beiden Kaisern wurde schriftlich festgelegt. Der Text ist nicht erhalten, es gibt aber reichlich Berichte aus der Zeit über das langwierige Ratifikationsverfahren. Es ist auch nichts darüber überliefert, wie Karl auf das Eheprojekt reagiert hat.[344]   

Als 803 das Band zwischen Rom und Konstantinopel endgültig zerrissen, und das Papsttum dem römische-fränkischen Reich eingegliedert zu sein schien, erreichte Karl in Aachen die Nachricht, der Papst verfolge die Absicht, mit Karl Weihnachten zu feiern. Karl ließ Leo von seinem ältesten Sohn abholen und nach Reims geleiten, wo er ihn selbst empfing. Das Weihnachtsfest wurde Quierzy begangen, einer nordwestlich von Reims gelegenen Kaiserpfalz, danach begaben sich Kaiser und Papst zum Epiphanienfest nach Aachen. Aus den Reichsannalen ist die Andeutung zu entnehmen, Karl sei der Besuch des Papstes ungelegen gekommen. Es ist die Annahme geäußert worden, Leo habe damals das Constitutum Constantini zur Bestätigung vorgelegt, sei aber abgewiesen worden. Der einzige Anhaltspunkt für diese These ist darin begründet, dass Karl ein gutes Jahr danach, die später als Fälschung erkannte Konstantinische Schenkung, zur Abfassung des Reichsteilungsgesetzes, womit das Reich unter seine Söhne aufgeteilt wurde, benutzt hat.[345] 

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